Emiliania huxleyi-Zellen in einer elektronenmikroskopischen Aufnahme. Foto: Lennart Bach, GEOMAR
Miesmuschel-Riff in der Kieler Förde. Foto: GEOMAR, Frank Melzner.
Muschel-Larven unter dem Mikroskop. Foto: GEOMAR, Jörn Thomsen.
Seeigel im Mittelmeer. Foto: GEOMAR, Frank Melzner.
Links: Grüne Seeigel (Strongylocentrotus droebachiensis) aus dem Kattegat in der Kulturanlage am GEOMAR, ca. 4-6 cm im Durchmesser (Foto: F. Melzner). Mitte: im Labor befruchteter Seeigel Embryonen, 2-Zellstadium, ca. 0,1 mm im Durchmesser (Foto: M. Stumpp). Rechts: im Labor aufgezogene Pluteuslarve (ca. 0,2 mm lang), Skelett (dunkle, längliche Strukturen) und Magen / Darmtrakt (zentral) sind sichtbar. Pluteuslarven bewegen sich mithilfe feiner Bewimperung auf ihren Armen und leben einige Wochen im Plankton (Foto: M. Stumpp).
Links: Pluteuslarve (ca. 0,2 mm lang) unter dem Konfokalmikroskop (Spikel rot markiert). Die Larve wird mit einer Haltepipette in einem Wasserbad unter dem Mikroskop gehalten, sodass die Flüssigkeit im Wasserbad kontinuierlich ausgetauscht werden kann. Rechts: die gleiche Larve, mit einem pH sensitiven Farbstoff gefärbt. Die kalzifizierenden Zellen (sogenannte PMC Zellen) sind als grüne Punkte entlang der Spikel in den Armen sichtbar (Fotos: M. Gutowska, M.Stumpp).

Darwin nicht vergessen!

Evolutionäre Anpassung könnte die Reaktionen verschiedener Meereslebewesen auf Ozeanversauerung verändern

28.01.2014/Kiel. Die evolutionäre Anpassung an Ozeanversauerung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft mariner Ökosysteme und muss bei der Erstellung von Prognosen stärker berücksichtigt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team von Wissenschaftlern aus Kanada, Australien, den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Schweden und Deutschland in einer Studie, die diese Woche im internationalen Fachmagazin „Trends in Ecology and Evolution“ (TREE) erscheint.

Veränderte Lebensbedingungen, die durch den Klimawandel oder die Versauerung der Ozeane – ein Absinken des pH-Werts durch die Aufnahme von menschengemachtem Kohlendioxid aus der Atmosphäre – hervorgerufen werden, stellen eine ernsthafte Bedrohung für Lebewesen im Meer dar. Um in einer neuen Umgebung zu überleben, können sich Tiere und Pflanzen akklimatisieren oder anpassen. „Akklimatisierung“ bezeichnet Veränderungen in Physiologie, Morphologie oder Verhalten, die nicht in den genetischen Code eingehen. „Anpassung“ umfasst vererbbare genetische Modifikationen, die die Chance der Nachkommen erhöhen, neue Lebensumstände zu verkraften. Wissenschaftler aus sechs in der Erforschung der Ozeanversauerung führenden Institutionen fassen den aktuellen Kenntnisstand über die Evolution in den Ozeanen zusammen: Welche Arten können sich wahrscheinlich anpassen? Wie wirkt sich ihre adaptive Evolution auf Wechselwirkungen im marinen Ökosystem aus? Beeinflussen diese Reaktionen wichtige Dienstleistungen des Ozeans wie die Kohlenstoffspeicherung oder Lebensmittelversorgung?

„Die Ozeanversauerung wird Meeresökosysteme definitiv verändern. Um die Entwicklung besser einschätzen zu können, müssen wir verstehen, wie sich Populationen im Laufe der Zeit an den Wandel anpassen. Denn wenn sich Organismen anpassen, könnten ihre Reaktionen auf Ozeanversauerung in Zukunft anders ausfallen als wir es heute beobachten“, erklärt Prof. Thorsten Reusch. Der Evolutionsbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel hat gemeinsam mit Experten aus Kanada, Australien, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Schweden frühere Studien kritisch überprüft und Ratschläge für zukünftige Untersuchungen gegeben. „Obwohl Charles Darwin seine Theorie der evolutionären Anpassung vor mehr als 150 Jahren dargelegt hat, ist dieser Aspekt in der Erforschung des Ozeanwandels lange vernachlässigt worden.“

Beweise für evolutionäre Anpassung an Ozeanversauerung ergeben sich hauptsächlich aus zwei Ansätzen: In Evolutionsexperimenten setzen Wissenschaftler Organismen neuerdings über mehrere Generationen hinweg Bedingungen aus, die für die Zukunft erwartet werden. So können sie testen, ob evolutionäre Reaktionen stattfinden. Solche Experimente lassen sich nur mit Arten durchführen, die sich relativ schnell vermehren, beispielsweise mit einzelligem Phytoplankton. Eines der auffälligsten Ergebnisse aus derartigen Laborversuchen war, dass kalkbildende Algen, deren Wachstum und Karbonat-Produktion zunächst unter Ozeanversauerung leidet, ihre Funktionen via Evolution teilweise wieder herstellen können.

Um das evolutionäre Potenzial von vielzelligen Organismen mit Generationszeiten von einem Jahr oder länger zu abschätzen, empfehlen die Autoren, die bereits vorhandene Vielfalt der vererbbaren Reaktionen auf Ozeanversauerung zu erfassen. „Wenn manche Individuen besser mit einem niedrigen pH-Wert zurecht kommen als andere, müssen wir wissen, wie effizient diese Fähigkeit an Nachkommen weitergegeben werden und wie schnell sich dieses Merkmal in einer Population verbreiten kann“, erklärt Dr. Jennifer Sunday, Post Doctoral Research Fellow an der Universität von British Columbia in Kanada. Die Studie fasst neueste Erkenntnisse zusammen, nach denen eine große genetische Variation für die Toleranz eines zukünftigen Säuregehalts existiert und dass sich viele Fische und wirbellose Tierarten durch natürliche Selektion anpassen können. In Zukunft könnten weitere systematische Untersuchungen zeigen, welche Arten sich am schnellsten anpassen können und ob dies schnell genug funktioniert, um eine Art vor dem Aussterben zu bewahren.

„Die Auswirkungen auf eine einzelne Art zu verstehen, ist allerdings nur die halbe Miete“, urteilt Dr. Piero Calosi, Dozent an der School of Marine Science and Engineering an der Universität Plymouth. „Wir müssen mehr über das evolutionäre Potential von Organismen herausfinden und verstehen, was der Preis dafür ist. Es ist möglich, dass andere Funktionen wie Wachstum, Fortpflanzung oder Lebensdauer abnehmen, wenn die Toleranz steigt.“ Das Team von Wissenschaftlern stellte auch fest, dass Organismen verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen, in denen sie unterschiedlich auf eine sich verändernde Umwelt reagieren. Sie interagieren in komplexen Gemeinschaften und werden durch eine Kombination von Stressfaktoren beeinflusst.

Da das evolutionäre Potenzial nicht für alle Arten beurteilt werden kann, müssen sich künftige Arbeiten strategisch auf die ökologisch oder wirtschaftlich wichtigsten oder auf diejenigen konzentrieren, die sich am besten für Modellrechnungen eignen, rät das internationale Experten-Team. Dr. Sam Dupont von der Universität Göteborg: „All dies ist keineswegs trivial. Aber wir haben gute Beispiele gefunden, die zeigen, dass die Anpassung nicht nur grundsätzlich möglich ist – wir sind jetzt auch bereit, den Prozess tiefergehend zu analysieren.“

Originalveröffentlichung:

Jennifer M. Sunday, Piero Calosi, Sam Dupont, Philip L. Munday, Jonathon H. Stillman, Thorsten B.H. Reusch: Evolution in an acidifying ocean. Trends in Ecology & Evolution. doi: 10.1016/j.tree.2013.11.001


Ansprechpartner:
Maike Nicolai (Kommunikation & Medien), Tel. 0431/600-2807, mnicolai(at)geomar.de 

Emiliania huxleyi-Zellen in einer elektronenmikroskopischen Aufnahme. Foto: Lennart Bach, GEOMAR
Miesmuschel-Riff in der Kieler Förde. Foto: GEOMAR, Frank Melzner.
Muschel-Larven unter dem Mikroskop. Foto: GEOMAR, Jörn Thomsen.
Seeigel im Mittelmeer. Foto: GEOMAR, Frank Melzner.
Links: Grüne Seeigel (Strongylocentrotus droebachiensis) aus dem Kattegat in der Kulturanlage am GEOMAR, ca. 4-6 cm im Durchmesser (Foto: F. Melzner). Mitte: im Labor befruchteter Seeigel Embryonen, 2-Zellstadium, ca. 0,1 mm im Durchmesser (Foto: M. Stumpp). Rechts: im Labor aufgezogene Pluteuslarve (ca. 0,2 mm lang), Skelett (dunkle, längliche Strukturen) und Magen / Darmtrakt (zentral) sind sichtbar. Pluteuslarven bewegen sich mithilfe feiner Bewimperung auf ihren Armen und leben einige Wochen im Plankton (Foto: M. Stumpp).
Links: Pluteuslarve (ca. 0,2 mm lang) unter dem Konfokalmikroskop (Spikel rot markiert). Die Larve wird mit einer Haltepipette in einem Wasserbad unter dem Mikroskop gehalten, sodass die Flüssigkeit im Wasserbad kontinuierlich ausgetauscht werden kann. Rechts: die gleiche Larve, mit einem pH sensitiven Farbstoff gefärbt. Die kalzifizierenden Zellen (sogenannte PMC Zellen) sind als grüne Punkte entlang der Spikel in den Armen sichtbar (Fotos: M. Gutowska, M.Stumpp).