Während einer Expedition im Jahr 2010 entdeckten Kieler Meeresforscher am Kontinantalhang vor Westafrika Spuren einer gewaltigen Hangrutschung. Grafik: Sebastian Krastel
Verteilung großer Hangrutschungen am NW-Afrikanischen Kontinentalhang (gelb) und auf den Flanken der Kanarischen Inseln (rot). In dem als Kasten markierten Gebieten entdeckten die Geowissenschaftler Spuren einer bisher unbekannten Hangrutschung mit gewaltigen Ausmaßen. Grafik: Sebastian Krastel
Vor rund 7300 Jahren rutschten Teile des norwegischen Kontinentalhangs in die Tiefseebecken des Nordatlantiks (rot). Diese Rutschung löste einen Tsunami aus, dessen Spuren Geologen an der norwegischen Westküste, auf den Färöer-Inseln, auf den Shetland-Inseln und in Schottland fanden (blaue Punkte). Die Shetland-Inseln könnten von einer bis zu 20 Meter hohen Flutwelle getroffen worden sein. Aus Bondevik et al, 2003

Submarine Hangrutschungen: eine (unterschätzte) Naturgefahr?

Was passiert, wenn die Sedimente in Bewegung geraten?

von Prof. Dr. Sebastian Krastel-Gudegast

Erdrutsche sind an Land weit verbreitet und treten in verschiedenen Formen und Größen auf. Im kleinen Maßstab kann man sie häufig an Böschungen von Straßen beobachten, es gibt Bergstürze in den Alpen und anderen Gebirgen sowie riesige Erdrutsche, die ganze Dörfer begraben können. Meist werden große Erdrutsche ausgelöst, wenn bei heftigen Niederschlägen viel Wasser zwischen vorher gebundenen Bodenschichten eindringt. Aufgrund der Schwerkraft und der Verminderung der Reibung zwischen den Bodenschichten kann ein Hang bei ausreichend großer Hangneigung instabil werden und zu rutschen beginnen. So wurde beispielsweise im Dezember 2006 auf den Hängen des 2.500 Meter hohen Vulkans Mayon auf den Philippinen durch heftige Regenfälle während eines Taifuns eine riesige Schlammlawine ausgelöst, die acht Dörfer verschüttete und mehrere hundert Menschen in den Tod riss.

Steile Hänge gibt es aber auch in den Ozeanen. Dort treten ebenfalls Hangrutschungen auf. An allen Kontinentalhängen und auf den Flanken von vielen Ozeaninseln wurden zahlreiche Hangrutschungen identifiziert. Die Größe dieser Hangrutschungen unter Wasser variiert, wie an Land auch, sehr stark; generell sind die in den Ozeanen aber deutlich größer als an Land. Hangrutschungen haben eine große Bedeutung für die Entwicklung von Kontinentalhängen und stellen eine Naturgefahr dar. Einerseits können sie Infrastruktur auf dem Meeresboden, wie Kabel und Ölplattformen, zerstören. Weiterhin können submarine Hangrutschungen (wie Erdbeben auch) Tsunamis auslösen. Aktuelle Untersuchungen gehen davon aus, dass ca. 25 Prozent aller Tsunamis durch submarine Hangrutschungen ausgelöst werden.
Hangrutschungen können außerdem Gashydrate freisetzen. Wird durch eine Hangrutschung viel Material hangabwärts transportiert, kommt es im Herkunftsgebiet der Rutschung zu einer Druckentlastung, die zum Schmelzen der Gashydrate und damit zur Freisetzung großer Mengen Methans führen kann. Gelangt dieses Methan in die Atmosphäre, kann es als Treibhausgas zur Erderwärmung beitragen.

Warum treten Hangrutschungen auf?

Damit Hangrutschungen auftreten, müssen potentiell instabile Sedimente auf dem Hang vorhanden sein. Werden zum Beispiel  schnell große Mengen Sediment abgelagert, haben sie wenig Zeit, sich zu verfestigen und sind daher instabil. Aber auch die Sedimentzusammensetzung ist von entscheidender Bedeutung. Insbesondere Tonlagen können mechanische schwache Lagen darstellen, die an denen Hänge bevorzugt abrutschen.

Ein Hang fängt an zu rutschen, sobald die Hangabtriebskraft die mechanische Festigkeit des Materials übersteigt.Erdbeben können diesen Prozess stark beschleunigen. Sie stellen  vermutlich den wichtigsten Auslöser von Hangrutschungen dar. Aber auch wenn Gashydrate zwischen den Sedimenten schmelzen, sich die Last auf den Sedimenten als Folge neuer Ablagerungen oder Meeresspiegelschwankungen ändert oder ein Hang aufgrund tektonischer Prozesse steiler wird, kann dies Hangrutschungen auslösen. Die prinzipiellen Auslösemechanismen für submarine Hangrutschungen sind inzwischen gut bekannt. Trotzdem versteht die Wissenschaft nur begrenzt, warum Hänge gerade an speziellen Orten rutschen, während der Hang nur wenige Kilometer weit entfernt stabil bleibt. Diese Frage ist für die Abschätzung der von den Hangrutschungen ausgehenden Gefahren von zentraler Bedeutung und Gegenstand laufender Forschung.

Wie untersuchen wir Hangrutschungen?

Zuerst müssen die Spuren alter Hangrutschungen identifiziert werden. Dafür werden von Forschungsschiffenaus aus diverse akustische Methoden benutzt. Durch eine genaue Vermessung der Wassertiefe an Hängen können zum Beispiel die Abrisskanten von Hangrutschungen gefunden werden. Sogenannte Seitensichtsonare geben Informationen über die Rauigkeit des Meeresbodens. Da Hangrutschungen meist eine raue Oberfläche am Meeresboden hinterlassen, kann mit Seitensichtsonaren die Ausdehnung von ehemaligen Hangrutschungen bestimmt werden. Zusätzlich können Rückschlüsse über Bewegungsrichtung und Fließprozesse gezogen werden. Mit Hilfe von Schallwellen, die in den Meeresboden eindringen und an unterschiedlichen Schichten verschieden reflektiert werden, können Informationen über den Schichtverlauf in den Sedimenten gewonnen werden. So werden Mächtigkeit und Volumen von Hangrutschungen bestimmt. Zusätzlich können so auch alte, bereits durch Sediment bedeckte Rutschungen gefunden werden. Diese Information ist wichtig, um die Häufigkeit von Rutschungen abzuschätzen. Auf den akustischen Messungen basierend werden Kerne von den Rutschungen genommen, die in Laboren geotechnisch untersucht werden. In Zukunft sollen in wissenschaftlichen Bohrungen Messinstrumente installiert werden, die Informationen über langfristige Veränderungen der Festigkeit des Materials liefern, um so Rückschlüsse auf Vorläuferphänomene von Rutschungen ziehen zu können.

Beispiele für submarine Hangrutschungen an Kontinentalhängen

Eine extrem große Rutschung an einem Kontinentalrand ereignete sich vor ca. 8.000 Jahren vor Norwegen. Sie ist unter dem Namen Storegga Rutschung bekannt. Ein Gebiet von der Größe Islands rutschte bis zu 800 Meter den Hang hinunter. Funde an Land belegen, dass diese Rutschung eine 10 bis 20 Meter hohe Tsunami-Welle ausgelöst hat. Betroffen waren vor allem die norwegisch Küste, aber auch die britische Küste und die Shetland-Inseln. Die Rutschung wurde in den vergangenen Jahren extrem gut untersucht, da sich unmittelbar unterhalb der Abrisskante in 800 bis 1.100 Meter Wassertiefe eine sehr große Erdgaslagerstätte befindet. Anders als bei anderen Lagerstätten wurde keinen Plattformen errichtet, sondern Fördermöglichkeiten direkt auf dem Meeresboden gebaut. Das Erdgas wird von dort durch Pipelines direkt nach England und Norwegen transportiert. Im Vorfeld wurden detaillierte geotechnische Untersuchungen durchgeführt, die belegen, dass der jetzige Hang stabil ist, da die instabilen Sedimente durch die Storegga Rutschung bereits hangabwärts transportiert worden sind. Für die Konstruktionen am Meeresboden besteht daher aller Vorraussicht nach keine Gefahr.

Ein Beispiel für eine sehr junge, kleine und vor allem von Menschen verschuldete Rutschung stellt der Flughafen von Nizza dar. Ende der 1970er Jahre wurde vor dem Flughafen, der ins Meer gebaut ist, mit dem Bau eines künstlich aufgeschütteten Hafens begonnen. Dazu hatte man 190 Hektar Land bis zu 300 Meter hinaus auf den steil abfallenden Meeresboden aufgeschüttet. Vermutlich begann der Hang bereits zu einem frühen Zeitpunkt entlang einer mechanisch schwachen Tonlage zu „kriechen“, das heißt sich sehr langsam zu bewegen. Durch tagelange heftige Regenfällen wurde die Stabilität des Hanges weiter verringert, so dass am 16.10.1979 der gesamte aufgeschüttete Bereich bis in eine Tiefe von über 2.000 Meter Wassertiefe abrutschte, insgesamt ca. fünf Millionen Kubikmetern Material. Das Volumen der Storegga Rutschung war ca. 600.000 Mal größer, trotzdem hat auch die Nizza Rutschung eine Tsunami-Welle ausgelöst. Nizza selbst war kaum betroffen. Aber der zehn Kilometer entfernte Nachbarort Antibes wurde von einer etwa drei Meter hohen Tsunami-Welle getroffen. Sie zerstörte diverse Boote in den Häfen, aber auch Autos und Gebäude in dem Ort selbst. Vermutlich war es dem schlechten Wetter zu verdanken, dass es in Antibes nur sechs Tote gab.

Beispiele von Rutschungen auf Ozeaninseln

Eine große Naturgefahr stellen Hangrutschungen auf Ozeaninseln dar, da sie die höchsten frei stehenden Berge der Welt sind. Der Pico de Teide auf Teneriffa hat eine Höhe von 3.718 Metern über dem Meeresspiegel, während der Ozean in der Umgebung der Kanaren fast 4.000 Meter tief ist. Damit stellt der Teide einen frei stehenden Berg von fast 8.000 Metern Höhe dar. Die Vulkane auf Hawaii ragen bis zu 10.000 Meter vom Ozeanboden empor. Die meisten Ozeaninseln sind vulkanischen Ursprungs und werden in weniger als einer Million Jahre aufgebaut. Das ist geologisch gesehen eine kurze Zeitspanne. Viele dieser Vulkane sind daher relativ instabil. Als Folge kommt es immer wieder zu riesigen Hangrutschungen. Ganze Vulkan-Flanken können kollabieren und als sogenannte Schuttlawine ins Meer rauschen. Das abgerutschte Material wird als große Blöcke auf dem Meeresboden abgelagert, die durch genaue Vermessungen des Meeresbodens von Forschungsschiffen gut identifiziert werden können. Einzelne dieser Blöcke können dabei noch Durchmesser von mehreren Kilometern und Höhen von über huntert Metern aufweisen. Eine solche Schuttlawine hat sich vor ca. 800.000 Jahren an der Südost-Flanke Teneriffas (Kanarische Inseln) ereignet. Sie bedeckt eine Fläche von 1.600 Quadratkilometern und hat ein Volumen von ca. 120 Kubikkilometern. Würde man das Material der Schuttlawine gleichmäßig auf die Fläche Schleswig-Holsteins verteilen, so würde das Land von einer 7,5 Meter mächtigen Schuttschicht bedeckt. Kollabieren Hänge auf Ozeaninseln, wird nicht nur die Infrastruktur auf der Insel selbst zerstört: Sobald die riesigen Schuttlawinen ins Wasser rauschen, können extrem große Tsunamis ausgelöst werden, wobei Schätzungen der Tsunamihöhe noch sehr ungenau sind. Sie reichen von zehn bis über hundert Metern. Wie groß ist jedoch nun die Gefahr, dass solch ein Ereignis auf den Kanarischen Inseln passiert? Detaillierte Untersuchungen an den Flanken aller Kanarischen Inseln zeigen, dass es insgesamt zwölf große Schuttlawinen in den vergangenen 1,5 Millionen Jahren gegeben hat. Dabei findet man die meisten dieser Schuttlawinen auf den jüngeren und vulkanisch aktiveren westlichen Inseln. Die andauernde vulkanische Aktivität dort hat ein vermehrtes Auftreten von Schuttlawinen zur Folge. Trotzdem gab es nur ca. alle 100.000 bis 150.000 Jahre eine große Hangrutschung auf den Kanaren. Insofern ist das Risiko für das Auftreten einer großen Hangrutschung auf den Kanarischen Inseln sehr gering.

 

Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Krastel-Gudegast war Mitarbeiter am GEOMAR und ist nun Professor für Geodynamik an der Christian-Albrechts Universität zu Kiel, wo er als Leiter der Arbeitsgruppe Marine Geophysik und Hydroakustik tätig ist. Außerdem ist er Mitglied im Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft". Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Submarine Gefahren, Hangstabilität und submarine Rutschungen, Sedimenttransport an Kontinentalrändern, Entwicklung von Seen und der Entwicklung von ozeanischen Vulkanen.

Während einer Expedition im Jahr 2010 entdeckten Kieler Meeresforscher am Kontinantalhang vor Westafrika Spuren einer gewaltigen Hangrutschung. Grafik: Sebastian Krastel
Verteilung großer Hangrutschungen am NW-Afrikanischen Kontinentalhang (gelb) und auf den Flanken der Kanarischen Inseln (rot). In dem als Kasten markierten Gebieten entdeckten die Geowissenschaftler Spuren einer bisher unbekannten Hangrutschung mit gewaltigen Ausmaßen. Grafik: Sebastian Krastel
Vor rund 7300 Jahren rutschten Teile des norwegischen Kontinentalhangs in die Tiefseebecken des Nordatlantiks (rot). Diese Rutschung löste einen Tsunami aus, dessen Spuren Geologen an der norwegischen Westküste, auf den Färöer-Inseln, auf den Shetland-Inseln und in Schottland fanden (blaue Punkte). Die Shetland-Inseln könnten von einer bis zu 20 Meter hohen Flutwelle getroffen worden sein. Aus Bondevik et al, 2003