Widerspenstige Verankerungen und alte Sockensäfte
Der Fokus der letzten Tage ist nun voll und ganz den ozeanographischen Verankerungen gewidmet, jenen Strömungen, Temperatur und Salzgehalt messenden Gerätschaften, welche auf dem Meeresboden darauf warten, von uns eingesammelt zu werden. Die Verankerungen sind so aufgebaut, dass Messgeräte an einem senkrecht unter Wasser gehaltenen Seil montiert werden, die im 15- bis 30-minütigen Rhythmus über ein Jahr lang Daten aufzeichnen, welche dann nach erfolgreicher Bergung heruntergeladen werden können. Die Geräte mitsamt einem Auftriebskörper werden, gekoppelt über einen Auslöser, von einem Gewicht am Boden gehalten. Der Auslöser wird über akustische Signale angeregt, die Verbindung zu dem Gewicht zu lösen, so dass der Auftrieb die Geräte nach oben treiben lässt. Das alles passiert mit Hilfe des ominösen Hydrophons, das uns schon seit Anfang der Expedition belastete. Nach der dann doch relativ ungewöhnlichen Ersatzteillieferungsaktion per Hubschrauber vor ein paar Tagen kamen wir mit Anbruch der Dämmerung (~22:00 Schiffszeit) bei ANABAR an, der ersten der insgesamt 4 verbleibenden Verankerungsstationen. Der Ablauf beinhaltet dann erst einmal das Orten der Gerätschaften per Hydrophon, also per eben jenem wichtigen Ersatzteil, welches uns glücklicherweise selbst hierhin nachgeliefert wurde. Der Optimismus wurde dann auch gleich grenzenlos gesteigert, da die Verankerung "antwortete" und die Gerätschaften noch genau dort lagen, wo sie letztes Jahr ausgesetzt wurden. Zwischendurch um Mitternacht gab es noch ein paar warme Geburtstagsglückwünsche für unseren Kollegen Jens Hölemann, welcher sich schon auf die Daten freute wie ein Kind auf den Geburtstagskuchen. Fahrtleiter Torben gab dann das Signal zum Auslösen, und bei einer Wassertiefe von 30 m hofften wir dann ca. 30 Sekunden später zu erleben, wie die wertvollen Geräte zurück an die Meeresoberfläche kamen. Also alle Augen auf die See gerichtet wie bei Moby Dick, bis dann schließlich "gar nix passierte". Trotz aller OK-Signale des Auslösers kam die Verankerung nicht hoch, und wir mussten aus Zeitmangel schweren Herzens weiterdampfen zur nächsten Station KHATANGA. Dort lief dann alles wie am Schnürchen. 6:00 morgens, Gerätschaften geortet, ausgelöst, schwupps an die Oberfläche und per Kran an Deck geholt, die Geräte abmontiert, gesäubert, Daten ausgelesen und gefreut über ein weiteres Jahr wertvoller Information über Strömungen und Hydrographie der inneren Laptewsee. Einige Stunden später hatten wir dann bereits erfolgreich eine neue Verankerung ausgelegt, bestückt mit frischen Messinstrumenten.
Die nächste Station OSL4 lag einen Tagesritt entfernt von KHATANGA in der nordwestlichen Laptewsee, einem entlegenen und oftmals durch Eis schwer zugänglichem Gebiet auf 77°N, welches ozeanographisch weit weniger erfasst ist als der zentrale Schelf. Die Neugierde und Vorfreude war auch dementsprechend hoch, aber was soll man sagen, lange Rede kurzer Sinn: Die Verankerung ist nicht hoch gekommen. Der Grund für die technischen Probleme der Auslöser ist uns erst einmal nicht bekannt, alle Begebenheiten hätten auf erfolgreiche Bergungen gedeutet, aber leider gibt es keine Garantie, dass man Geräte, die man im Ozean verankert, auch wieder bekommt. Das war und ist uns durchaus bewusst. Leider haben wir keinerlei extra Zeit für zusätzliche Bergungsversuche, so dass wir hoffen müssen, dass die Verankerungen von zukünftigen Expeditionen geborgen werden können.
Ansonsten war heute Saunatag für die wissenschaftlichen Expeditionsteilnehmer, so dass einige von uns die Dampfzeit zur nächsten Verankerungsstation OSL2 am nördlichen zentralen Schelf nutzen konnten, Geist und Körper bei 120°C und Birkenzweigen wieder in Einklang zu kriegen. Überhaupt ist die Stimmung unter den Expeditionsteilnehmern trotz der genannten wissenschaftlichen Rückschläge meistens sehr gut. Selbst der 100-jährige Kabeljau und "Dosensaft gemischt mit altem Sockenwasser" zum Abendbrot konnte der Sache hier keinen Abbruch tun, obwohl sich so langsam Tagträume von frischem Obstsalat häufen. Nun gut, in vier Tagen werden wir wieder in Tiksi von Bord gehen und hoffen bis dahin doch noch mal auf ein wenig mehr Glück mit der letzten verbleibenden Verankerungsstation. Man darf gespannt bleiben.
Mit vielen Grüßen aus der Laptewsee,
das Expeditionsteam