1. Planung
Die Idee, fünf Personen in einem LKW für mehrere Tage auf das Meereis zu schicken, war ganz praktischer Natur. Da die an der Expedition teilnehmenden Eisphysiker für ihre Experimente viel Zeit benötigen und entsprechend häufige Hubschrauberflüge zu viel Geld gekostet hätten, hat sich die Expeditionsleitung dazu entschlossen, ein kleines Team in einem speziell für die Arktis ausgerüsteten 12-Tonner zum "Camp South" zu schicken. Der Name rührt sehr simpel von der geographischen Position: Das südlichste der drei Camps, in denen wir arbeiten. Für diese Tour lag meine Aufgabe in der Vorbereitung des Aufbaus der meteorologischen Stationen und der Durchführung einiger Messungen der Eisdicke.
Eine sichere Route wurden vom Fernerkundler Thomas Krumpen (Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, Bremerhaven, AWI) und dem Geologen Jens Hölemann (AWI) mit Hilfe von Satellitenbilder ausgespäht und uns in unserem GPS als Route zur Verfügung gestellt. Hinzu kamen natürlich weitere Sicherheitsmaßnahmen wie Satellitentelefon und Notfallausrüstung. Auch der regelmäßige Kontakt mit der Expeditionsleitung sorgte für ein sicheres Gefühl während der ganzen Tour. Einerseits dienten die Telefonate zur wissenschaftlichen Beratung, andererseits aber auch, um sicherzustellen, dass man in Tiksi weiß, wo das Team ist und ob es Hilfe benötigt.
Mit an Bord waren der Biologe und Teamleiter Alexander Gukov (Lena-Delta-Reservat), Fahrer und Jäger Konstantin (Lena-Delta-Reservat), die Eisphysiker Leonid Panov (Institut für Arktis- und Antarktisforschung, Sankt Petersburg, AARI) und Igor Sheikin (AARI). Als fünfte Person war ich als Student der Umweltwissenschaften von der Universität Trier dabei.
2. Unterwegs
Am Sonntag, den 1.4.2012, fuhren wir um 8:30 Uhr unter blauem Himmel los. Die ersten zwei bis drei Stunden führten uns südwärts über eine Art Eisautobahn, die von Einheimischen als Verbindung zwischen verschiedenen Ortschaften genutzt wird. Natürlich ist das keine Autobahn im klassischen Sinne, aber verhältnismäßig gut und einfach zu befahren (mit bis zu 60 km/h). Der Schlenker nach Süden war nötig, um einige Eisrücken zu umfahren, die selbst einem so kräftigen LKW Probleme machen können. Als wir dann die glatte Piste verließen, ging es sozusagen über die Landstraße weiter. Zwar immer noch recht glatt, aber schon mit einigen Schneeverwehungen, die nicht ganz so einfach zu passieren waren. Hier ging es auch nur noch mit max. 15-20 km/h voran ... meist eher langsamer. Es wurde einige Male die Eisdicke gemessen ... immerhin ist man mit schwerem Gerät unterwegs und da will man schon wissen, ob das Eis auch stark genug ist, um die Last zu tragen. Unter dem Eis ist ja der Ozean, und schwimmfähig ist der LKW nun auch wieder nicht. Unsere Messungen lagen immer über 150 cm Eisdicke und somit in einem sicheren Bereich. Um zurück in unserem Arbeitsgebiet zu kommen, ging es dann wieder drei Stunden nach Norden. Dort angekommen haben wir eine für die Experimente günstige Stelle gesucht und dann den Daheimgeblieben Ankunft und Position gemeldet. Die Eisdicke betrug 170 cm und es waren -20°C Lufttemperatur.
Mit den ersten Arbeiten wurde begonnen, und in der Ferne gab es erst einige Luftspiegelungen zu bewundern und später einen schönen Sonnenuntergang. Luftspiegelungen sind an große vertikale Temperaturgradienten in der bodennahen Luftschicht gebunden. In diesem Fall kühlte die Schneeoberfläche sehr stark aus und die Lufttemperatur nahm mit der Höhe zu. Dies war mit einer entsprechenden starken vertikalen Änderung der Luftdichte verbunden. Die Lichtstrahlen verlaufen nun in gekrümmten Bahnen. Dadurch werden entfernte Objekte unter einem anderen Blickwinkel wahrgenommen.
Gegen Mitternacht ging es dann ins Bett. Im Wohnteil des LKWs hatten vier von uns Platz. Konstantin, unser Fahrer, hatte sein „Einzelzimmer“ im Führerhäuschen. Geschätzt war die Wohnfläche 2,5x3 m, und die Betten waren so schmal, dass man sich nicht einfach mal umdrehen konnte. Einer unbedachten Bewegung im Schlaf wäre unweigerlich ein Sturz auf den Frühstückstisch gefolgt ... Frühstück im Bett sozusagen. Trotz dieses Risikos und des die ganze Nacht durchlaufenden Motors (um es in der Kabine warm zu halten) haben all gut geschlafen, und am nächsten Tag ging es um 6.30 Uhr los.
3. Leben im Camp South
Am zweiten Tag ging jeder erst mal seinen eigenen Aufgaben nach. Alexander bereitete die biologischen Experimente vor und baute netterweise ein Klohäuschen ... naja ... mehr einen Windschutz. Aber sehr hilfreich ...
Igor und Leonid begannen mit ihren Vorbereitungen, und ich baute die Grundgerüste für die zwei Wetterstationen und unser kleines Kraftwerk auf. Letzteres bestand aus zwei Solar-Paneelen und einer Batterie zur Versorgung der Station für Messungen von Temperatur, Wind und verschiedener Strahlungsterme. Die zweite Station misst zusätzlich weitere Parameter wie Feuchte und Oberflächentemperatur. Redundante Messungen einiger Größen sind wichtig, da immer mal ein Sensor ausfallen kann. Oder, wie vor einigen Jahren geschehen, sich ein Eisbär als Hobbymeteorologe versucht und dabei leider nicht alles ganz funktionsfähig zurückgelässt. Seitdem werden die Stationen mit Diesel eingerieben. Laut den Einheimischen soll das ganz gut helfen. Gegen akuten Eisbär-Besuch war Konstantin, der neben seiner Tätigkeit als Fahrer auch Jäger ist, mit einem Gewehr bewaffnet. Zuerst hätten wir uns allerdings in den LKW zurückgezogen ... man möchte ja als Polarforscher Knut möglichst in Ruhe lassen. Immerhin sind wir in seinem Lebensraum ... überlegen Sie mal, bei Ihnen würde jemand im Garten stehen, und wenn Sie gucken, was der da so treibt, fängt der auch noch an zu schießen ... glücklicherweise kam es aber zu keinerlei Zwischenfall.
Der erste Arbeitstag ging recht erfolgreich zu Ende, und es gab wieder einen tollen Abendhimmel. Eines der Instrumente wurde als Teleskop umfunktioniert, und wir konnten einen 3/4-Mond betrachten.
Leider hatten wir in unserer Gruppe keine Sprache, die von allen gemeinsam gesprochen wurde. Deshalb habe ich teils auf Englisch, teils auf Deutsch geredet. Lediglich mit Konstantin konnte ich mich kaum unterhalten, da er nur Russisch spricht und ich leider nicht. Aber mit Händen, Füßen und einigen Geräuschen ging auch das. Oder einer der anderen hat für uns übersetzt. Es herrschte eine lockere Atmosphäre und die Herzlichkeit der Russen hat mich beeindruckt.
Ursprünglich war geplant, dass der Hubschrauber mit dem Rest der Truppe schon am Dienstag kommt, aber wie das auf Expeditionen nun mal so ist, kommt immer alles anders. Deshalb war mein Arbeitstag teils damit gefüllt, dass ich die anderen bei ihren Tests unterstützt habe, teils mit dem Schmelzen von Schnee zur Trinkwasserversorgung beschäftigt war und teils auch einfach im warmen LKW sitzen konnte, um ein wenig Musik zu hören und es einfach mal zu genießen, an was für einem so besonderen Ort man gerade ist.
4. Geburtstag auf dem Eis
Mittwoch war dann noch einmal volles Programm. Heidi hat beim allmorgendlichen Telefonat Eisbohrkerne bestellt, die wir von Hand ziehen mussten. Da das ein Weilchen dauert und auch einiges an Muskelkraft kostet, haben Sasha Gukov und ich gleich nach dem Frühstück damit angefangen. Als der zweite Kern fast fertig gebohrt war, kam der Hubschrauber eingeschwebt. Nachdem ich einige Geburtstagsglückwünsche entgegen nehmen durfte, folgten dann weitere Experimente und die Endmontage der Wetterstationen. Insgesamt eine ansehnliche Station mit vertretener Geochemie, Biologie, Meteorologie, Ozeanographie und Eisphysik. Da der LKW schon etwas früher losfahren musste (um noch im Hellen zurück in Tiksi zu sein) und Professor Alfred Helbig mich noch für die letzten Handgriffe an den Wetterstationen gebraucht hat, konnte ich mit dem Hubschrauber zurückfliegen. Da anstatt sechs bis sieben Stunden im LKW nur ca. 30 Minuten im Hubschrauber zu verbringen waren, konnte ich mir das schönste Geburtstagsgeschenk schon vor den anderen erfüllen: Nach vier Tagen endlich eine heiße Dusche!
Aufs Eis mit Russen? Immer wieder gerne!
Daniel