Die Grüne Miesmuschel Perna viridis, gesammelt in Jakarta, Indonesien. Foto: Mark Lenz, GAME/GEOMAR
Aufbau für ein Laborexperiment mit Miesmuscheln aus der GAME-Studie 2021. Foto: GAME
Der Hafen von Vigo, Spanien. Foto: Svea Vollstedt, GAME

Wie beeinflusst Lichtverschmutzung Muscheln rund um den Globus?

Diesjährige GAME-Experimente widmen sich wichtigen Filtrierern an unseren Küsten

06.04.2022/Kiel. Die nächste Generation von Teilnehmenden des internationalen Forschungs- und Ausbildungsprogramms GAME (Globaler Ansatz durch Modulare Experimente) ist bereit für den Start ihrer Experimente. Nach einem Monat Online-Training reisen die Studierenden jetzt zu Forschungsstationen in sieben verschiedenen Ländern. Bis Oktober führen sie dort methodisch vergleichbare Untersuchungen zu Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf filtrierende Organismen am Meeresboden durch. GAME ist ein Programm des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und feiert Ende 2022 sein 20-jähriges Bestehen. Die aktuelle GAME-Studie wird von der Klaus Tschira Stiftung ermöglicht und von einer Reihe langjähriger Förderer unterstützt.

Wie wirkt sich nächtliches Kunstlicht auf Tiere entlang unserer Küsten aus? Das aktuelle Projekt des internationalen Forschungs- und Ausbildungsprogramms GAME (Globaler Ansatz durch Modulare Experimente) des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel untersucht die Auswirkungen von Lichtverschmutzung auf Filtrierer wie Muscheln in Küstenregionen rund um den Globus. Bereits im Jahr 2021 zeigten Experimente mit Schnecken, Krebsen und Seeigeln, dass einige Arten nächtliches Licht eher meiden, weil es das Risiko erhöht, von Fressfeinden entdeckt zu werden. Dadurch verkürzt sich aber die Zeit, die die Tiere für die Nahrungsaufnahme haben. Andere hingegen blieben aufgrund des Kunstlichts länger aktiv und fraßen mehr.

Um jetzt mehr über die Reaktionen festsitzender Organismen zu erfahren, führen zwölf Studierende über sechs Monate hinweg vergleichbare Experimente mit weltweit verbreiteten Muschelarten in sieben verschiedenen Ländern durch. „Unseres Wissens nach ist dies das erste Mal, dass die Reaktionen von Muscheln auf künstliches nächtliches Licht systematisch an verschiedenen Stationen über mehrere Monate beobachtet werden“, sagt Dr. Mark Lenz, Meeresökologe am GEOMAR und Koordinator von GAME. „Es ist durchaus möglich, dass nächtliches Kunstlicht diese Organismen beeinträchtigt. Muscheln nehmen das Licht wahr, ohne in der Lage zu sein, ihm zu entfliehen. Aber sie können das Risiko von tagaktiven Räubern gefressen zu werden, begrenzen, indem sie ihre Schalen geschlossen halten. Wenn sich der Tag durch nächtliches Kunstlicht verlängert, bleibt ihnen dadurch weniger Zeit, um Nahrung aus dem Wasser zu filtern. Daher könnte die Filtrationsleistung von Muschelbänken unter dem Einfluss von Kunstlicht abnehmen.“

Als riesige Wasserfilter sorgen Muschelbänke für eine gute Wasserqualität. Außerdem stabilisieren sie die Küsten und liefern Nahrung für viele andere Meeresorganismen und den Menschen. Falls Lichtverschmutzung ihre Filtrationsleistung beeinflusst, könnte dies Folgen haben, die sich kaskadenartig auf die betroffenen Ökosysteme auswirken.

Forschungsarbeiten zu Lichtverschmutzung konzentrierten sich bislang meist auf Lebewesen und Ökosysteme an Land. Aber sie kann durchaus auch Meerestiere beeinträchtigen. Der Rhythmus von Tag und Nacht ist weitgehend konstant geblieben, seit sich das Leben auf unserem Planeten entwickelt hat. Dementsprechend steuert das Licht von Sonne und Mond unzählige Prozesse und Verhaltensweisen wie Wanderungsbewegungen, Fortpflanzungszyklen und den Wechsel zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen. Lichtrhythmen sind der DNA vielen Lebensformen auf der Erde eingeschrieben. Seit der Erfindung von Gaslampen und mehr noch seit der Einführung des elektrischen Lichts kann der Mensch diese Rhythmen in großem Umfang stören. Derzeit werden zudem immer häufiger LED-Systeme für die Straßenbeleuchtung eingesetzt, deren Spektrum dem der Sonne ähnlicher ist als das früherer Lichtquellen. Damit steigt die Gefahr, dass künstliches Licht natürliche Prozesse beeinträchtigt.

„Mit unseren Experimenten in den Jahren 2021 bis 2023 wird GAME dazu beitragen, die Auswirkungen der Lichtverschmutzung als potenziellen zusätzlichen Stressfaktor für Küstenökosysteme besser zu verstehen“, betont Dr. Lenz. „Indem wir vergleichbare Experimente rund um den Globus durchführen, können wir auch herausfinden, ob Populationen aus verschiedenen Regionen unterschiedlich reagieren. In den hohen Breiten verändern sich Lichtverhältnisse im Jahreslauf, während sie in den Tropen konstant sind. Dies könnte die Empfindlichkeit von Organismen gegenüber nächtlichem Kunstlicht beeinflussen.“

2022 finden wieder Experimente in Cabo Verde, Finnland, Japan, Malaysia und Spanien statt. Außerdem sind zwei neue wissenschaftliche Partner zu GAME gestoßen: Erstmals wird auch an der Universidad Católica de Santísima in Concepción, Chile, und am University Centre of the Westfjords in Isafjördur, Island, geforscht.

Für den Vorbereitungskurs trafen sich die Studierenden jeden Wochentag von 9:30 bis 15:00 Uhr online. „Aufgrund der Corona-Pandemie konnten wir uns nicht wie üblich in Kiel treffen. Da die Studierenden aus zwölf verschiedenen Zeitzonen kamen, war es schwierig, einen Zeitplan zu entwickeln, der für alle funktionierte“, erklärt Dr. Lenz. Die endgültige Lösung brachte frühes Aufstehen in Chile und Cabo Verde mit sich und sorgte für spätabendliche Arbeit in Malaysia und Japan. „Aber wir haben es trotzdem geschafft, eine hochmotivierte Gruppe zu bilden und ein gutes Gefühl für die Bedeutung internationaler und multikultureller Zusammenarbeit in der Wissenschaft zu bekommen.“

„Bevor ich zu GAME kam, wusste ich nicht, dass nächtliches Kunstlicht Auswirkungen auf filtrierende Organismen am Meeresboden haben kann“, verrät GAME-Teilnehmerin Karen da Graca aus Cabo Verde. „Jetzt freue ich mich auf meine Forschung, denn das ist ein sehr aktuelles Thema.“

Für Jannis Hümmling, GAME-Teilnehmer aus Deutschland, vermittelt der GAME-Ansatz eine sehr wichtige Botschaft: „Wir müssen die ganze Welt betrachten, anstatt uns nur auf unseren kleinen lokalen Raum zu konzentrieren, wenn wir wirklich verstehen wollen, wie unser Planet sich verändert. Durch die Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ländern, um an Orten auf der ganzen Welt Experimente zur gleichen Forschungsfrage durchzuführen, bietet GAME eine der besten Möglichkeiten dafür. Gleichzeitig eine neue Kultur zu erkunden, macht das Ganze natürlich noch spannender, und ich bin sehr neugierig, was mich erwarten wird.“

„GAME bietet mir die Möglichkeit, theoretisches Wissen aus meinem bisherigen Studium mit praktischen Fertigkeiten zu verknüpfen. Dank GAME erfahre ich den gesamten Prozess wissenschaftlichen Arbeitens von der theoretischen Planung über die praktische Umsetzung bis zur statistischen Auswertung der Ergebnisse“, sagt Melanie Stock, eine weitere GAME-Teilnehmerin aus Deutschland. „Ich hoffe sehr mit meinem Projekt einen Teil zum Verständnis unserer Meere beitragen zu können. Zudem ermöglicht mir GAME einen Austausch mit etablierten Mitgliedern internationaler Forschungsgruppen – potenzielle Arbeitgeber für meine zukünftige Karriere.“

GAME-Blog:

Die Teilnehmenden berichten hier im GAME-Blog auf der Plattform "Oceanblogs" über ihre Experimente und ihren Alltag.

Projektförderung:

GAME wird gefördert von der Klaus Tschira Stiftung sowie Bornhöft Industriegeräte, Hydro-Bios, Hydrotechnik Lübeck, LimnoMar, dem Lions Club Kappeln, der Müllverbrennung Kiel, Offcon und SubCtech.

Miesmuscheln
Die Grüne Miesmuschel Perna viridis, gesammelt in Jakarta, Indonesien. Foto: Mark Lenz, GAME/GEOMAR
Laborexperiment mit Miesmuscheln
Aufbau für ein Laborexperiment mit Miesmuscheln aus der GAME-Studie 2021. Foto: GAME
Hafen von Vigo bei Nacht
Der Hafen von Vigo, Spanien. Foto: Svea Vollstedt, GAME