Genetische Spurensuche in der Ostsee
GEOMAR-Wissenschaftlerinnen erforschen die Ausbreitung von Umwelt-DNS
Die genetische Spurensuche beginnt an einem Montagmorgen um 7:15 Uhr auf der Pier des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel: Nach monatelanger Vorbereitung testen Wissenschaftler:innen auf einer Expedition mit der LITTORINA, wie lange sich Lebewesen in der Ostsee anhand von Spuren aus dem Erbgut nachweisen lassen, die im Wasser gelöst sind. „Umwelt-DNS“ (environmental DNA, eDNA) nennt sich der Ansatz in Anlehnung an die Desoxyribonukleinsäure (DNS), welche genetische Informationen eines Organismus enthält.
„Anders als in die Luft, können wir in den Ozean nicht hineinsehen. Wir können nicht direkt erkennen, welche Organismen sich in der Wassersäule befinden, gerade eben vorbeigeschwommen sind – und schon gar nicht, welche vor einer Woche da gewesen sind“, sagt Dr. Lara Schmittmann, Postdoktorandin am GEOMAR. Gemeinsam mit ihrer Kollegin, der Meeresbiologin Dr. Véronique Merten setzt sie das Projekt „traceDNA“ um, welches im Zuge des „GEOMAR Call for Postdoctoral Activities 2022“ finanziert wird.
Für die „Umwelt-DNS“-Methode werden nur geringe Proben aus der Umwelt benötigt, um Informationen über vorhandene Lebewesen zu erhalten. Dies ist möglich, da alle Pflanzen, Tiere und andere Organismen winzige Spuren ihrer Erbsubstanz hinterlassen. Ihre DNS kann zum Beispiel aus Meerwasser, aber auch aus Sediment gewonnen und analysiert werden. Sie enthält genetische Informationen, die es möglich macht, Arten zu identifizieren, ihre Verbreitung zu kartieren, ihre Vielfalt zu analysieren und ökologische Veränderungen im Laufe der Zeit zu überwachen, ohne die Organismen selbst einzufangen oder zu stören.
Die Herausforderung: Noch ist nicht eindeutig klar, wie lange DNS-Spuren im Ozean nachweisbar sind. Daher ist es schwierig, Aussagen zur zeitlichen und räumlichen Verbreitung von Arten anhand der Umwelt-DNS zu treffen. „Wenn man zum Beispiel in der Eckernförder Bucht in einer Wasserprobe von einer bestimmten Position DNS-Spuren von Sprotten findet, kann man nicht differenzieren, ob sich dort ein Fisch aufgehalten hat, oder gar ein ganzer Fischschwarm und ob die Sprotte dort vor einem Tag oder vor einer Woche gewesen ist, oder 10 Kilometer weiter entfernt“, illustriert Dr. Schmittmann.
„Unser Projekt ist ein wichtiger Schritt, um Umwelt-DNS als nicht-invasiven Ansatz zur Untersuchung von Ozeanen und Ökosystemen voranzubringen“, erklärt Dr. Véronique Merten. „Es ist der nächste Schritt um die Methode nicht nur zur Untersuchung von Verbreitungsmustern zu benutzen, sondern auch für die Bestimmung der Häufigkeit der Vorkommen verschiedener Arten.“
Für die Expedition mit der LITTORINA hat das Team mit Hilfe von Strömungssimulationen und Wettervorhersagen den optimalen Ausbringungsort für ihr Experiment ermittelt: In der Nähe des Kieler Leuchtturms wollen die Wissenschaftlerinnen die DNS von Karpfen in die Ostsee geben und deren Verbleib über die nächsten zwei Wochen anhand von Wasserproben verfolgen. Weil diese Fischart in der Ostsee nicht vorkommt, können sich die Forscherinnen sicher sein, dass jegliche Spuren von Karpfen-DNS, die sie später in ihren Analysen entdecken, aus dem Experiment stammen müssen. Der Versuch zielt darauf ab, die Menge an DNS an einem Fundort mit der ursprünglichen Biomasse zu verknüpfen, einem wichtigen Parameter für das Fischereimanagement. Ein besseres Verständnis der räumlichen Verteilung, Verweildauer und Herkunft von Umwelt-DNS ist entscheidend für ganzheitliche Biodiversitätsbewertungen und kann somit zum Management von Meeresschutzgebieten beitragen.
„Nach unserem Wissen ist unser Projekt das Erste, das direkt im Ozean Experimente zur Umwelt-DNS durchführt. Die Kombination von einem Experiment in einer natürlichen Umgebung und hydrodynamischen Modellen hat Potenzial, in Zukunft die Verbreitung von Umwelt-DNS in verschiedenen ozeanographischen Regionen für alle Arten von Meereslebewesen vorherzusagen“, erklärt Dr. Lara Schmittmann. „Um dies zu erreichen, arbeiten Wissenschaftler:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen am GEOMAR und des Helmholtz-Zentrum Hereon zusammen. So vereinen wir Expertise in physikalischer Ozeanographie, Ozeanmodellierung, Meeresökologie, molekularer Genetik und biogeochemischen Tracern.“
Nach dem Ausbringen des Probenmaterials in drei Metern Tiefe werden Oberflächendrifter mit GPS-Sendern ins Wasser gelassen. Sie helfen, die Wassermassen zu verfolgen, in welche die DNS eingebracht wurde. Ein Meeresströmungsmodell in Kombination mit den Positionen der Drifter soll über den Verlauf des Experiments die Verfolgung der DNS-Spuren ermöglichen. Ob der Ansatz funktioniert, werden Analysen von Wasserproben aus der Ostsee in den kommenden Wochen zeigen.
„Eine Studie wie diese ist wichtig, weil sie das Potenzial hat, unser Verständnis der Verbreitung von Umwelt-DNS in marinen Ökosystemen zu verbessern“, betont Dr. Véronique Merten. „Durch unsere Studie lernen wir mehr über die Ökologie von Umwelt-DNS: Wie lange lässt sich die Umwelt-DNS nachweisen, wie weit wird sie verbreitet, wie schnell wird sie abgebaut? Diese Informationen sind wichtig, um entsprechende Studien in Zukunft besser interpretieren zu können.“
Dr. Lara Schmittmann ergänzt: „Außerdem bietet unsere Studie einen Ansatz, Umwelt-DNS mit Biomasse zu korrelieren. Dies ist nötig, um die Methode so weiterzuentwickeln, dass in Zukunft nicht nur die An- oder Abwesenheit von Arten abgeschätzt werden kann, sondern auch deren räumliche Verteilung und Häufigkeit.“
Zukünftig wollen Dr. Véronique Merten und Dr. Lara Schmittmann ihre Zusammenarbeit weiter ausbauen und weitere Schritte in der Forschung zur Umwelt-DNS gehen. Dieses Experiment liefert die Grundlage für weiterführende vertiefende Studien.