Kalkalgenblüte in der Barentssee. Foto: Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, NASA/GSFC
Mikroskopaufnahme verschiedener Coccolithophoriden: (A) Coccolithus pelagicus, (B) Calcidiscus leptoporus, (C) Braarudosphaera bigelowii, (D) Gephyrocapsa oceanica, (E) E. huxleyi, (F) Discosphaera tubifera, (G) Rhabdosphaera clavigera, (H) Calciosolenia murrayi, (I) Umbellosphaera irregularis, (J) Gladiolithus flabellatus, (K and L) Florisphaera profunda, (M) Syracosphaera pulchra, and (N) Helicosphaera carteri. Maßstab: 5μm. Abbildung: Fanny M. Monteiro et al. Sci Adv 2016;2:e1501822
Übersicht zu den möglichen Vorteilen der Kalzifizierung: (a): gesteigerte Photosynthese, (b) Schutz gegen Lichtschäden, (c) Schutz vor Viren und Bakterien sowie Fraßdruck. Abbildung: Fanny M. Monteiro et al. Sci Adv 2016;2:e1501822

Kalkbildung – ein Auslaufmodell für einzelliges Phytoplankton?

Internationales Forscherteam errechnet Kosten und Nutzen der Kalzifizierung

14.07.2016/Kiel. Coccolithophoriden, einzelliges Phytoplankton, das eine wichtige Rolle für die Stoffkreisläufe im Ozean, für das marine Nahrungsnetz und für das globale Klima spielt, schützt sich durch verschiedenartig geformte Kalkstrukturen vor Fraßfeinden und Schäden. Doch die Kalkbildung kostet die Einzeller viel Energie. Der Preis für die kunstvolle Armierung könnte bei fortschreitendem Klimawandel sogar noch steigen. Mit Hilfe eines neuartigen Modells analysierte ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel Kosten und Nutzen der Kalkbildung. Die Ergebnisse lassen vermuten, dass die ökologische Nische für Kalkalgen in Zukunft enger wird.

Sie hüllen sich in undurchdringliche Schuppenpanzer, bewehren ihr Äußeres mit spitzen Stacheln, entfalten Sonnenschirme oder strecken trompetenförmige Sammeltrichter nach dem Licht aus – Coccolithophoriden, einzellige kalkbildende Phytoplankton-Arten, umgeben ihr Inneres mit verschiedenartigsten Schalen. Um die Frage nach dem Zweck der kunstvollen Gebilde zu beantworten, fügten Forschende aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten Ergebnisse von Studien zur Evolutionsgeschichte und Zellbiologie sowie aus Labor- und Freilandexperimenten zusammen. Denn nur, wer versteht, weshalb diese Organismen ihre Kalkschalen aufbauen, kann auch abschätzen, inwieweit sie unter den Folgen des globalen Wandels leiden werden. Mit Hilfe eines neuartigen Modells untersuchte das internationale Team den Energieaufwand und Vorteile, die die Einzeller durch die Kalkbildung gewinnen. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Science Advances veröffentlicht.

„Vermutlich schützten sich die Algen mit ihrer Kalkschale ursprünglich vor allem vor Fressfeinden. Weil die verschiedenen Strukturen noch andere Vorteile mit sich brachten, entstand eine Vielzahl von Formen, die diese Vorteile weiter ausnutzten“, erklärt Prof. Ulf Riebesell, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Co-Autor der Studie. Bisher zahlte sich der hohe Energieaufwand für die Kalzifizierer aus: „Coccolithophoriden haben mehr als 200 Millionen Jahre überlebt. Jetzt ist fraglich, ob sie auch dem Klimawandel standhalten“, so Prof. Riebesell.

Die rund 200 Coccolithophoriden-Arten produzieren bis zu zehn Prozent der Biomasse in den Weltmeeren und halten den marinen Kohlenstoffkreislauf in Schwung. Beschwert mit ihren Kalkplättchen, sinkt organisches Material zum Ozeanboden. So kann neues Kohlendioxid aus der Atmosphäre in höhere Wasserschichten aufgenommen und dort verarbeitet werden. Zudem setzen Coccolithophoriden das klimakühlende Gas Dimethylsulfid (DMS) frei – ein weiterer „Service“, der dazu beiträgt, das Klima zu stabilisieren.

Ob die einzelligen Multitalente ihre Funktionen auch in Zukunft erfüllen können, hängt davon ab, wie viel zusätzliche Energie sie für die Kalkbildung aufbringen müssen und wie ihre Konkurrenten im Nahrungsnetz ihrerseits auf den Ozeanwandel reagieren. Wenn durch die noch immer zunehmenden Emissionen zusätzliches Kohlendioxid im Meerwasser gelöst wird, steht auch mehr für die Photosynthese zur Verfügung – sie wird leicht stimuliert. Andererseits erschwert der verringerte pH-Wert die Kalkbildung.

Toby Tyrrell, Professor für Erdsystemwissenschaft an der Universität Southampton und Ko-Autor der Studie sagt: „Im Ozean der Zukunft entscheidet der Trade-off zwischen den sich-ändernden ökologischen und physiologischen Kosten für die Kalzifizierung einerseits und ihren Vorteilen andererseits darüber, ob diese wichtige Organismen-Gruppe von Ozeanversauerung und globaler Erwärmung beeinträchtigt wird. Es gibt Anzeichen dafür, dass sich ihr Verbreitungsgebiet im Laufe der Zeit ändert. Wenn wir die Kosten und den Nutzen ihrer charakteristischen Kalkplättchen besser einschätzen können, verstehen wir auch, weshalb sich ihre Biogeografie verändert.“

Haupt-Autorin Dr. Fanny Monteiro, Dozentin und Forschungsstipendiatin des Natural Environment Research Council (NERC) an der School of Geographical Sciences der Universität Bristol ergänzt: „Kalzifizierung verlangt den Coccolithophoren viel Energie ab, bringt aber eine Reihe von Vorteilen mit sich, die auch dazu geführt haben, dass sich die heute sichtbare Mannigfaltigkeit an Formen entwickeln konnte.

„Coccolithophoriden werden im Vergleich zu anderen Plankton-Organismen eher benachteiligt sein. Ihr Rückgang hätte auch Auswirkungen auf das Klimasystem“, fasst Dr. Lennart Bach, zweiter Ko-Autor der Studie vom GEOMAR, zusammen. „Modellrechnungen wie unser neuer Ansatz sind daher wichtig, um auszuloten, wie sich ein erhöhter Energieaufwand, wie hier bei der Kalkbildung, in Zukunft auf die Organismen auswirken wird und welche Konsequenzen dies für die Planktongemeinschaft haben wird. So schlagen wir den Bogen von Einzelorganismen auf das gesamte System.“


Originalveröffentlichung:

Monteiro, F.M., Bach, L.T., Brownlee, C., Bown, P., Rickaby, R.E.M., Poulton, A.J., Tyrrell, T., Beaufort, L., Dutkiewicz, S., Gibbs, S., Gutowska. M.A., Lee, R., Riebesell, U., Young, J., Ridgwell, A. (2016): Why marine phytoplankton calcify. Science Advances, doi: 10.1126/sciadv.1501822

BIOACID in Kürze:
BIOACID in Kürze: Unter dem Dach von BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification) untersuchen zehn Institute, wie marine Lebensgemeinschaften auf Ozeanversauerung reagieren und welche Konsequenzen dies für das Nahrungsnetz, die Stoff- und Energieumsätze im Meer sowie schließlich auch für Wirtschaft und Gesellschaft hat. Das Projekt begann 2009 und ging im Oktober 2015 in die dritte, finale Förderphase. BIOACID wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die Koordination liegt beim GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Eine Liste der Mitglieds-Institutionen, Informationen zum wissenschaftlichen Programm und den BIOACID-Gremien sowie Fakten zur Ozeanversauerung sind auf der Website www.bioacid.de zu finden.

Links:
University of Bristol
Marine Biological Association
University College London
University of Oxford
National Oceanography Centre
Centre Européen de Recherche et d’Enseignement des Géosciences de l’Environnement (CEREGE)
Massachusetts Institute of Technology
Monterey Bay Aquarium Research Institute
Museum of Natural History London
University of California
BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification)
UKOA (UK Ocean Acidification Research Programme)

Ansprechperson:
Maike Nicolai (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2807, presse@geomar.de

Kalkalgenblüte in der Barentssee. Foto: Jeff Schmaltz, MODIS Rapid Response Team, NASA/GSFC
Mikroskopaufnahme verschiedener Coccolithophoriden: (A) Coccolithus pelagicus, (B) Calcidiscus leptoporus, (C) Braarudosphaera bigelowii, (D) Gephyrocapsa oceanica, (E) E. huxleyi, (F) Discosphaera tubifera, (G) Rhabdosphaera clavigera, (H) Calciosolenia murrayi, (I) Umbellosphaera irregularis, (J) Gladiolithus flabellatus, (K and L) Florisphaera profunda, (M) Syracosphaera pulchra, and (N) Helicosphaera carteri. Maßstab: 5μm. Abbildung: Fanny M. Monteiro et al. Sci Adv 2016;2:e1501822
Übersicht zu den möglichen Vorteilen der Kalzifizierung: (a): gesteigerte Photosynthese, (b) Schutz gegen Lichtschäden, (c) Schutz vor Viren und Bakterien sowie Fraßdruck. Abbildung: Fanny M. Monteiro et al. Sci Adv 2016;2:e1501822