Forscher vergleichen zwei Plattfische während einer fischereibiologischen Ausfahrt mit der ALKOR. Foto: Maike Nicolai
Prof. Alexander Proelss und Dr. Rainer Froese zweifen an bekannten Umweltsiegeln. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR

Überfischt und trotzdem aufgetischt

Knapp 30 Prozent der durch die Gütesiegel MSC oder FOS zertifizierten Fischprodukte stammen aus überfischten Beständen

17.04.2012/Kiel. Dreiviertel der marinen Fischbestände weltweit gelten heute als überfischt oder bis zur Tragfähigkeitsgrenze genutzt. Etliche Fischbestände sind aufgrund zu hoher Fangmengen sogar bereits zusammengebrochen. Welche Fische und Meeresfrüchte dürfen da noch auf den Tisch? Verbraucher verlieren bei der Auswahl vor dem Kühlregal oft den Überblick und vertrauen den Empfehlungen unabhängiger Gütesiegel. Das in Deutschland bekannteste ist das Umweltsiegel MSC, Marine Stewardship Council. Das blaue Zeichen mit dem Fisch verspricht Produkte aus nachhaltiger Fischerei und zertifiziert Fischereiunternehmen, die für umweltbewussten und nachhaltigen Fischfang stehen. Auch das weniger bekannte Siegel FOS, Friend of the Sea, gibt Verbrauchern Orientierung beim Fischkauf. Aber wie geht es den Fischen wirklich? Wie glaubwürdig sind die Gütesiegel, und können sich die Verbraucher uneingeschränkt auf die Zertifizierung verlassen?

Gemeinsame Pressemitteilung des Kieler Exzellenzclusters "Ozean der Zukunft" und des GEOMAR | Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel

In einer aktuellen Studie, die in dieser Woche im Fachmagazin Marine Policy erscheint, haben der Fischereibiologe Dr. Rainer Froese, GEOMAR I Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, und der Rechtswissenschaftler Professor Alexander Proelß, Universität Trier, die beiden Gütesiegel MSC und FOS unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse sind alarmierend. Unter den zertifizierten Produkten stammen immer noch 19 (FOS) beziehungsweise 31 Prozent (MSC) aus überfischten Beständen und solchen, die nicht umweltverträglich befischt werden.

"Nur etwa die Hälfte der MSC-zertifizierten Produkte stammte aus nachweislich gesunden Beständen mit angemessen niedrigem Fischereidruck. Etwa ein Drittel der zertifizierten Fischbestände war zu klein und wurde gleichzeitig zu hart befischt. Die übrigen Bestände waren entweder zu klein, zu hart befischt oder es lagen keine belastbaren Informationen vor", fasst Autor Froese die Ergebnisse der Untersuchung zusammen.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen einer gemeinnützigen internationalen Organisation, wenn es Gütesiegel für ein Fischereiunternehmen vergibt, das nicht nach den international festgelegten Kriterien handelt? Mit dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) hat sich die internationale Staatengemeinschaft dem Grunde nach auf den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung von Fischbeständen verständigt und die darin enthaltenen Verpflichtungen im UN-Übereinkommen über Fischbestände (UNFSA) weiter konkretisiert. „Trotz dieser anerkannten Regeln können die Gütesiegel nicht zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie gegen internationale Standards verstoßen, es sei denn, das innerstaatliche Recht enthält entsprechende Vorgaben wie bei heimischen Fischen, die als überfischt gelten“ sagt Professor Alexander Proelß von der Uni Tier, der noch als Mitglied des Kieler Exzellenzclusters Ozean der Zukunft an der fächerübergreifenden Untersuchung mitgewirkt hatte. „Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen können Staaten die Einfuhr von Fischprodukten aus überfischten Beständen verbieten“, so Proelß weiter. Verbraucher können sich demnach nicht uneingeschränkt auf die Umweltsiegel verlassen. Es drohen weder Sanktionen dafür, wenn anerkannte Standards nicht eingehalten werden, noch werden zwingend Zertifikate entzogen, wenn Fischereiunternehmen die einmal begutachteten Kriterien nicht mehr erfüllen.

Kritik üben die Forscher vor allem an der Zugänglichkeit von relevanten Informationen. Bei 11 (MSC) bzw. 53 Prozent (FOS) der zertifizierten Bestände lagen keine oder nur unzureichende Angaben vor, so dass keine verwertbaren Aussagen beispielsweise über die Bestandsgröße getroffen werden konnten. Auch gibt es Zweifel an der Unabhängigkeit von eingesetzten Gutachtern, die Fischereien zertifizieren. Diese werden nämlich von den Fischerei-Unternehmen bezahlt. Darüber hinaus finanziert sich beispielsweise MSC nicht allein aus Spenden, sondern auch über den Erlös von Lizenzgebühren für zertifizierte Produkte. Die Einnahmen des MSC steigen also mit der Zahl der zertifizierten Bestände."Die Zertifizierer müssen ihre Kriterien verschärfen und dann auch einhalten. Überfischten Beständen muss das Siegel entzogen werden“, fordert Rainer Froese. Ein Beispiel dafür ist Seelachs aus der Nordsee. Nach der Zertifizierung durch das Umweltsiegel MSC schrumpfte der Bestand aufgrund immer stärkerer Befischung. „Jetzt ist die Grenze zum Zusammenbruch erreicht, das Siegel soll aber nicht entzogen werden.“ Bei aller Kritik, der Rat der beiden Forscher an die Verbraucher ist eindeutig. Die Gütesiegel helfen bei der Auswahl der Verbraucher an umweltverträglichen Fischprodukten. „Die Produkte von MSC oder FOS sind sicherer als nicht zertifizierte Ware. Die Wahrscheinlichkeit, dass Fische aus nachhaltigem Fang stammen, ist mit MSC oder FOS-Siegel drei bis viermal höher als bei Meeresfrüchten ungeprüfter Anbieter“, so Froese.

Originalarbeit:
Froese R., Proelss A. Evaluation and legal assessment of certified seafood. Marine Policy (2012), doi: 10.1016/j.marpol.2012.03.017

Ansprechpartner:
Jan Steffen (Kommunikation & Medien), Tel. 0431/600-2811, jsteffen(at)geomar.de rfroese(at)geomar.de
Prof. Alexander Proelß, Universität Trier, Tel.: +49 (0)651/201-2586, proelss(at)uni-trier.de

Forscher vergleichen zwei Plattfische während einer fischereibiologischen Ausfahrt mit der ALKOR. Foto: Maike Nicolai
Forscher vergleichen zwei Plattfische während einer fischereibiologischen Ausfahrt mit der ALKOR. Foto: Maike Nicolai
Prof. Alexander Proelss und Dr. Rainer Froese zweifen an bekannten Umweltsiegeln. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Prof. Alexander Proelss und Dr. Rainer Froese zweifen an bekannten Umweltsiegeln. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR