Wie hat der Antarktische Eisschild auf verschiedene klimatische Bedingungen in der Vergangenheit reagiert? Das ist eine der Fragen, denen Dr. Eleni Anagnostou mit ihrem Projekt „HighBorG“ nachgehen will. Foto: Marcus Gutjahr, GEOMAR

Eine Vielzahl von Organismen verbindet durch tägliche Auf- und Abwanderung die tiefen Meeresschichten mit dem Oberflächenozean. Diese „Leiter der Vertikalwanderungen“ möchte Dr. Jan Taucher mit seinem Projekt „SEA-THROUGH“ genauer erforschen. Foto: Annegret Stuhr, GEOMAR

Zwei Forschende des GEOMAR erhalten renommierte ERC Consolidator Grants

Förderung für Spitzenforschung in Klima- und Meereswissenschaften

23.11.2023/Kiel. Zwei Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel erhalten jeweils einen der renommierten Consolidator Grants des Europäischen Forschungsrates. Das Projekt „HighBorG“ der Paläo-Klimatologin Dr. Eleni Anagnostou konzentriert sich auf die Erforschung von Wechselwirkungen zwischen Kohlenstoff, Klima und dem Antarktischen Eisschild. In dem Projekt „SEA-THROUGH“ möchte der Meeresbiologe Dr. Jan Taucher mit seinem Team das Verhalten von Meereslebewesen in der Tiefsee mithilfe neuer Kameratechnologien entschlüsseln.

Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) hat heute bekanntgegeben, dass zwei Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel mit je einem Consolidator Grant in Höhe von rund zwei Millionen Euro für fünf Jahre gefördert werden.

„Es freut mich ungemein, dass dieses Jahr gleich zwei Forschende des GEOMARs die begehrte Förderung des Europäischen Forschungsrates erhalten haben. Ich wünsche Dr. Eleni Anagnostou und Dr. Jan Taucher bei ihren spannenden Untersuchungen zu der antarktischen Eisschicht und der Tiefseeforschung viel Erfolg und bin schon gespannt auf die ersten Ergebnisse“, sagt Professorin Dr. Katja Matthes, Direktorin des GEOMAR. „Die Gewährung der Consolidator Grants unterstreicht die Bedeutung und das Potenzial der beiden Forschungsprojekte und würdigt das Engagement und die Expertise der Forschungsteams und des GEOMARs.“

HighBorG: Geologische Rekonstruktionen von Kohlenstoff- und Klimaprozessen

Die Vergangenheit birgt eine Fülle von Informationen über die Dynamik von Kohlenstoff und Klima. „Das ist meine Spielwiese“, sagt Dr. Eleni Anagnostou. Sie ist leitende Wissenschaftlerin in der Gruppe Paläo-Ozeanographie am GEOMAR: „Ich untersuche das Erdklima im Hinblick auf den Kohlenstoffkreislauf. Insbesondere schaue ich mir Phasen an, in denen es wärmer war als heute, um Kippelemente zu finden, die das Wachstum beziehungsweise den Rückzug des Antarktischen Eisschildes bewirken, um mit diesem Verständnis Vorhersagen über den künftigen Meeresspiegel zu machen.“

Ihr Projekt „HighBorG“ (High-resolution Boron and beyond Geologic reconstructions for carbon and climate processes) zielt darauf ab, die bisher unbekannten Zusammenhänge zwischen der Erdumlaufbahn und den Schwankungen von Temperatur, Kohlenstoff und Meeresspiegel zu einer Zeit zu erforschen, als der atmosphärische Kohlendioxidgehalt (CO2) höher war als heute, aber ähnlich hoch wie es für das Ende dieses Jahrhunderts erwartet wird. Konkret sind dies drei unterschiedliche Klimaabschnitte im Zeitraum von 52 bis 13 Millionen Jahren (Ma) vor der Gegenwart: eine sehr warme Erde mit hohem CO2-Gehalt (52-46 Ma), eine wenig erforschte Periode von 39-23 Ma, als der Antarktische Eisschild entstand, und einer kälteren Erde mit wiederum hohem CO2-Gehalt (17-13 Ma).

Dr. Anagnostou und ihr Team werden dafür verschiedene Forschungsmethoden kombinieren, wie etwa die Analyse chemischer Indikatoren in fossilen Überresten von Meeresorganismen, die in den Sedimenten der Tiefsee begraben sind, wobei sie sich insbesondere auf das Element Bor und seine Isotope konzentrieren werden – diese können zur Rekonstruktion des pH-Werts des Ozeans und der atmosphärischen CO2-Konzentration verwendet werden. Daneben werden für das Projekt innovative Automatisierungsansätze, neue Meeresarchive und Erdsystemmodelle genutzt, um so einzigartige geologische Rekonstruktionen im Jahrtausendmaßstab zu erstellen. Dr. Anagnostou: „Dies wird uns helfen, die Wechselwirkungen innerhalb des Erdklimas während der antarktischen Vereisungs- und Vereisungsperioden besser zu verstehen.“

SEA-THROUGH: Auf der Suche nach der „Leiter“ in die Tiefsee

Das zweite geförderte Forschungsprojekt beschäftigt sich mit den Tiefen des Ozeans, dem größten Lebensraum auf unserem Planeten, der aber noch weitestgehend unerforscht ist. Die Tiefsee birgt eine riesige Artenvielfalt und ist ein wichtiger Kohlenstoffspeicher im globalen Klimasystem. Die tiefen Meeresschichten sind mit dem Oberflächenozean durch die tägliche Auf- und Abwanderung des Planktons verbunden: Jede Nacht steigen unzählige Kleinstlebewesen aus mehreren hundert Metern Tiefe an die Meeresoberfläche hinauf, wo es mehr Futter gibt, und kehren dann tagsüber in die Tiefe zurück. Einer jahrzehntealten bislang unbewiesenen Theorie zufolge, könnte dies aber nur der erste Schritt auf einer „Leiter der Vertikalwanderungen“ sein, welche noch in viel größere Tiefen reicht. Demzufolge gäbe es eine Reihe von synchronen und miteinander verwobenen Vertikalwanderungen, welche das Nahrungsnetz über die gesamte Wassersäule bis in mehrere Kilometer Tiefe ausdehnen.

Mit dem Projekt „SEA-THROUGH“ möchten Dr. Jan Taucher und sein Team dieses Geheimnis lüften. Dafür soll modernste Kamera-Technologie eingesetzt werden, welche es erstmals ermöglicht, ein ganzheitliches Bild der Biodiversität und Nahrungsnetze in der Tiefsee zu erfassen, insbesondere auch hinsichtlich deren räumlicher und zeitlicher Dynamik in der Wassersäule. „Wir wollen uns quasi eine neue Brille verpassen, um in die Tiefsee zu blicken“, sagt Dr. Taucher. Der Meeresbiologe arbeitet bereits seit 2018 an der Entwicklung von innovativen Kamerasystemen, um das breite Spektrum von Lebewesen im Ozean besser beobachten zu können. „Um ökologische Schlüsselmechanismen wie die ,Leiter der Vertikalwanderungen‘ zu verstehen, brauchen wir zuallererst grundlegende Informationen über die Vielzahl der Organismen: Wer ist zu welcher Zeit wo, und was machen sie dort? Solche Daten sind aber ziemlich schwer zu sammeln“, formuliert Dr. Taucher die grundlegende Herausforderung der Tiefsee-Ökologie.

Um diese Hürde zu meistern, sollen in dem neuen Projekt mehrere moderne Kamera-Technologien entwickelt und miteinander kombiniert werden. Das neue Kamerasystem soll dann auf Schiffs-Expeditionen für ökologische Beobachtungen der Tiefsee und der vertikalen Bewegung ihrer Einwohner genutzt werden. Dazu sagt Dr. Taucher: „Wenn wir die Existenz der ,Leiter der Vertikalwanderungen' nachweisen können, wäre dies ein wichtiges Puzzlestück zur Lösung einiger großer Rätsel der Tiefseeforschung.“

Über den ERC:

Der ERC (European Research Council, Europäischer Forschungsrat) ist eine Einrichtung der Europäischen Union, deren Hauptzweck es ist, exzellente und wegweisende Grundlagenforschung in Europa zu fördern. Der ERC vergibt „Starting Grants“ für junge Forschende am Beginn ihrer Karriere, „Consolidator Grants“ für vielversprechende Wissenschaftler:innen zwischen sieben und zwölf Jahre nach der Promotion, deren eigene Arbeitsgruppe sich in der Konsolidierungsphase befindet, „Advanced Grants“ für herausragende Forschende mit einer nachgewiesenen Forschungsexpertise sowie „Synergy Grants“ für Teams von Forschenden, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Der Gesamthaushalt des ERC von 2021 bis 2027 beträgt mehr als 16 Milliarden Euro. Er wird über das EU-Rahmenprogramm für Forschung & Innovation „Horizon Europe“ finanziert.

 

Ein Eisrand am Meer im Sonnenschein

Wie hat der Antarktische Eisschild auf verschiedene klimatische Bedingungen in der Vergangenheit reagiert? Das ist eine der Fragen, denen Dr. Eleni Anagnostou mit ihrem Projekt „HighBorG“ nachgehen will. Foto: Marcus Gutjahr, GEOMAR

Viele winzig kleine Organismen im Wasser

Eine Vielzahl von Organismen verbindet durch tägliche Auf- und Abwanderung die tiefen Meeresschichten mit dem Oberflächenozean. Diese „Leiter der Vertikalwanderungen“ möchte Dr. Jan Taucher mit seinem Projekt „SEA-THROUGH“ genauer erforschen. Foto: Annegret Stuhr, GEOMAR