Meeresforschung würdigt Gegenwart und gedenkt der Vergangenheit
Die Annette Barthelt-Stiftung verleiht wissenschaftliche Preise 2022
Ein Terroranschlag beendete in Dschibuti am Golf von Aden am 18. März 1987 das Leben von vier Meeresforschenden. In einer Gruppe mit weiteren Wissenschaftler:innen warteten Annette Barthelt, Daniel Reinschmidt, Marco Buchalla und Hans-Wilhelm Halbeisen vor Ort, um mit dem Forschungsschiff METEOR auf Expedition in den Indischen Ozean zu gehen. Bei der Explosion eines Sprengsatzes in einem Café wurden insgesamt 13 Personen getötet, darunter die vier Wissenschaftler:innen aus Kiel. Weitere überlebten schwer verletzt.
Im Andenken an die Kieler Opfer gründeten Kolleg:innen und Hinterbliebene die Annette Barthelt-Stiftung. Diese soll nicht nur die Vergangenheit, sondern auch, mit dem Blick voraus, die Zukunft der Meeresforschung würdigen. Sie prämiert daher seit 1990 exzellente Master- und Doktorarbeiten aus dem Bereich der schiffsgestützten Meeresforschung im Rahmen einer Preisverleihung.
„Terrorismus ist heute mehr denn je ein Thema, das uns auch in der Meeresforschung treffen kann“, so Professor Arne Körtzinger, erster Vorsitzender der Stiftung und Wissenschaftler am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR). „Neben dem Gedenken der Opfer möchten wir mit der Preisverleihung aber auch einen positiven Impuls und ein Zeichen für die Meeresforschung setzen. Mit dem Preis fördern wir jedes Jahr Nachwuchstalente, und investieren damit auch in die Zukunft der Meereswissenschaften.“
Die Preisträgerinnen des Jahres 2022 sind:
Lena Holtmanns mit ihrer Masterarbeit zur räumlichen Verteilung von vier Seevogelarten im Juni 2019 in der Deutschen Bucht (Nordsee). Der Titel lautet „Analysis of the spatial distribution of seabirds, fish and plankton in the German Bight” (Analyse der räumlichen Verteilung von Seevögeln, Fischen und Plankton in der Deutschen Bucht). In der Arbeit wurde der Einfluss von verschiedenen Variablen, wie zum Beispiel Wassertemperatur, Salzgehalt, Fisch- oder Zooplanktonvorkommen, auf die Seevogelverteilung untersucht. Sie wurde unter der Betreuung von Dr. Jens Floeter am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg angefertigt. Es fand zudem eine Zusammenarbeit mit dem Zweitprüfer Dr. Kai Borkenhagen vom Forschungs- und Technologiezentrum (FTZ) der Universität Kiel statt.
Dr. Stefanie Haase mit ihrer Doktorarbeit „Interlinked patterns in movements and otolith formation of cod (Gadus morhua) in the southern Baltic Sea“ (Zusammenhängende Muster der Bewegungen und der Otolithenbildung von Dorschen (Gadus morhua) in der südlichen Ostsee), in der sie die Ökologie und das Verhalten von Dorschen untersucht hat. Dafür wurden die Tiere lebend gefangen, mit externen Markern und internen Datenloggern ausgestattet und wieder freigelassen. Die Sensoren sammelten Daten zu Wassertiefe, Temperatur und Zeit. Diese Informationen konnte Dr. Haase auslesen, wenn ein markierter Dorsch von Angler:innen oder Fischer:innen gefangen und zurückgesandt wurde. Die Daten erlauben Rückschlüsse auf die Wanderbewegungen jedes einzelnen Fisches. Weil die Sensoren keine Positionen aufnehmen können, hat Dr. Haase ein Modell für die Ostsee weiterentwickelt, um anhand der Temperatur und Tiefen-Daten zu rekonstruieren, welchen Pfad der Dorsch zwischen Freilassen und Wiederfang genommen hat. Zudem wurden durch den Forschungsansatz neue Erkenntnisse über das Verhalten von Dorschen in Bezug auf Sauerstoff- und Salzgehalt gewonnen. Betreut wurde die Arbeit von Dr. Uwe Krumme vom Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock und Professor Dr. Axel Temming vom Institut für Marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften (IMF) der Universität Hamburg.
„Ein besseres Verständnis des Verhaltens von Meereslebewesen und der Wechselwirkungen mit ihrer Umwelt ist seit jeher eines der großen Anliegen der Meeresforschung. In Zeiten von fortschreitendem Verlust der Artenvielfalt, Überfischung und dem Bedarf nach einer nachhaltigen Nutzung unserer Meere, wird dieses Wissen noch wichtiger“, betont die Direktorin des GEOMAR, Professorin Dr. Katja Matthes. „Beide Preisträgerinnen leisten hierzu exzellente Beiträge. Dafür danke ich ihnen und gratuliere herzlich zu der wohlverdienten Auszeichnung.“