Ein Taucher nähert sich dicken Krusten der Rotalge Clathromorphum. Diese Algenart ist in Küstengebieten des Nordatlantiks, des Nordpazifiks und des Arktischen Ozeans zu finden. Sie kann mehrere hundert Jahre alt werden. Foto: Nick Caloyianus
Ein Schnitt durch die Rotalge Clathromorphum zeigt jährliche Wachstumsbänder, vergleichbar mit den Jahresringen von Bäumen. Das Bild zeigt ca. 150 Jahreslagen; der Maßstab von oben nach unten beträgt etwa 2,5 Zentimeter. Foto: Jochen Halfar

650 Jahre arktische Eisbedeckung rekonstruiert

Forscher aus Deutschland, den USA und Kanada nutzen Rotalgen als Klimaarchiv

19.11.2013/Toronto, Göttingen, Kiel. Wissenschaftler beobachten den deutlichen Rückgang des arktischen Meereises in den vergangenen Jahren mit großem Interesse. Die Frage, ob es sich um eine natürliche Schwankung oder doch um das Symptom eines grundlegenden, vom Menschen verursachten globalen Wandels handelt, ist dabei nur schwer zu beantworten. Denn direkte Messungen der Meereisausdehnung und -dicke gibt es erst seit den späten 1970er-Jahren. Das ist zu kurz, um Aussagen über langfristige Klimaschwankungen zu treffen. Wissenschaftler suchen daher nach Indikatoren, die ihnen indirekt etwas über die Entwicklung des arktischen Eises in der Vergangenheit erzählen. Forscher aus Toronto und St. John's (Kanada), Washington (USA), Göttingen (Deutschland) sowie vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ist es jetzt gelungen, anhand von speziellen Rotalgen die Eisbedeckung der kanadischen Arktis jahrgenau bis ins 14. Jahrhundert zurückzuverfolgen. Sie veröffentlichen ihre Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA“ (PNAS).

Bei den Algen, die die Autoren für ihre Umweltrekonstruktion nutzten, handelt es sich um die Art Clathromorphum compactum. Sie lebt in flachen Gewässern am Meeresboden und bildet feste Kalkstrukturen. Dabei entstehen, ähnlich wie bei Bäumen an Land, feine Jahresbänder. Das Wachstum der Algen wird stark von der Lichtmenge beeinflusst, die auf dem Meeresgrund ankommt. Und die hängt wiederum ganz eng mit der Dauer der jährlichen Eisbedeckung auf dem Meer zusammen. Auf diese Weise konnte das Forscherteam um Erstautor Dr. Jochen Halfar von der Universität Toronto eine 650 Jahre lange, präzise Geschichte des arktischen Eises schreiben. „Während der Kleinen Eiszeit, die von Beginn des 15. bis ins 19. Jahrhundert dauerte, war die jährliche Phase, in der das Meer von Eis bedeckt war, mehrere hundert Jahre sehr ausgedehnt“, so Mitautor Dr. Andreas Kronz von der Universität Göttingen. „Seit dem Ende der Eiszeit um 1850 herum zeigt das Archiv der Rotalge einen kontinuierlichen Rückgang der Eisschicht, der bis heute andauert. Dieser Rückgang ist stärker, als wir jemals zuvor in der 650 Jahre langen Rotalgen-Zeit beobachten konnten.“

Für Co-Autor Dr. Steffen Hetzinger vom GEOMAR, der schon seit mehreren Jahren an kalkbildenden Rotalgen als Klimaarchiv forscht, ist in diesem Fall vor allem die zeitliche Länge der Rekonstruktion bemerkenswert. „650 Jahre Eis-Rekonstruktion bei einer jahrgenauen Auflösung ist schon etwas Besonderes. Eine so große zeitliche Ausdehnung bei entsprechender Auflösung erreichen wir im marinen Bereich mit kaum einem anderen natürlichen Archiv“, betont der Paläo-Ozeanograph.  

Originalarbeit:

Halfar, J., W. H. Adey, A. Kronz, S. Hetzinger, E. Edinger, W. W. Fitzhugh (2013): Arctic sea-ice decline archived by multicentury annual-resolution crustose coralline algal proxy. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA (PNAS), http://dx.doi.org/10.1073/pnas.1313775110

Ein Taucher nähert sich dicken Krusten der Rotalge Clathromorphum. Diese Algenart ist in Küstengebieten des Nordatlantiks, des Nordpazifiks und des Arktischen Ozeans zu finden. Sie kann mehrere hundert Jahre alt werden. Foto: Nick Caloyianus
Ein Taucher nähert sich dicken Krusten der Rotalge Clathromorphum. Diese Algenart ist in Küstengebieten des Nordatlantiks, des Nordpazifiks und des Arktischen Ozeans zu finden. Sie kann mehrere hundert Jahre alt werden. Foto: Nick Caloyianus
Ein Schnitt durch die Rotalge Clathromorphum zeigt jährliche Wachstumsbänder, vergleichbar mit den Jahresringen von Bäumen. Das Bild zeigt ca. 150 Jahreslagen; der Maßstab von oben nach unten beträgt etwa 2,5 Zentimeter. Foto: Jochen Halfar
Ein Schnitt durch die Rotalge Clathromorphum zeigt jährliche Wachstumsbänder, vergleichbar mit den Jahresringen von Bäumen. Das Bild zeigt ca. 150 Jahreslagen; der Maßstab von oben nach unten beträgt etwa 2,5 Zentimeter. Foto: Jochen Halfar