Welle auf El Hierro. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR

Alle an Deck für den Schutz des Ozeans

GEOMAR-Forschende kommentieren den internationalen Hochseevertrag

10.03.2023/Kiel. Nach fast zwei Jahrzehnten Verhandlungen wurde ein internationaler Vertrag zum Schutz der Hohen See geschlossen. Er schafft den rechtlichen Rahmen, um die offenen Ozeane jenseits nationaler Hoheitsgebiete nachhaltiger und gerechter zu schützen und zu nutzen. Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel kommentieren den historischen Schritt.

„Das Schiff hat das Ufer erreicht.“ Mit dieser Aussage verkündete die Präsidentin der Zwischenstaatlichen Konferenz über marine Biodiversität in Gebieten jenseits nationaler Hoheitsgewalt (Marine Biodiversity of Areas Beyond National Jurisdiction, BBNJ), Botschafterin Rena Lee, die seit fast zwei Jahrzehnten hoffnungsvoll erwartete Einigung zum Schutz der Hohen See. Der historische Durchbruch wurde in einer 40-stündigen Abschlussverhandlung der Mitgliedsstaaten erreicht. Mehr als 400 Delegierte von Regierungen, Organisationen der Vereinten Nationen, Nichtregierungsorganisationen und der Wissenschaft nahmen vom 20. Februar bis 4. März 2023 an der Sitzung im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York teil. Politischen Institutionen, Nichtregierungsorganisationen und Gesellschaft begrüßten das Übereinkommen.

Der Ozean bedeckt zwei Drittel unseres Planeten und ist die Heimat von mehr als 250.000 bekannten Pflanzen- und Tierarten, vom winzigen Plankton bis zu großen Meeressäugern. Forschende gehen davon aus, dass noch bis zu zehnmal mehr Arten auf ihre Entdeckung warten – und darin ist die Vielzahl der Mikroben, welche die biologische Vielfalt der Meere weiter erhöhen, noch nicht einmal enthalten. Sie alle sind unterschiedlichsten menschlichen Einflüssen ausgesetzt, darunter der Klimawandel, Fischerei, Verschmutzung oder Zerstörung von Lebensraum.

In den Gebieten außerhalb der nationalen Gerichtsbarkeit – dem weiten offenen Ozean außerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) der Küstenstaaten, regelt das Seerecht der Vereinten Nationen menschliche Aktivitäten. Die Frage der Einrichtung von Meeresschutzgebieten war jedoch bisher nicht direkt Gegenstand dieses Übereinkommens. Der so genannte Hochseevertrag bietet nun die erforderliche Rechtsgrundlage für die Ausweisung von Schutzgebieten auf Hoher See. Er kann den Ambitionen Auftrieb geben, das „30x30“-Ziel zu erreichen, das die internationalen Biodiversitätskonferenz in Montreal im Dezember 2022 zum Schutz von 30 Prozent der Weltmeere bis 2030 festgelegt hat. Zusätzlich unterstützt er andere Ziele für nachhaltige Entwicklung und den Schutz der biologischen Vielfalt. Darüber hinaus adressiert er die gerechte Verteilung von Vorteilen im Zusammenhang mit der Nutzung genetischer Meeresressourcen, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Kapazitätsausbau und Transfer.

Auch, wenn der Inhalt des Hochseevertrags nun beschlossen ist – der endgültige Text wird erst nach einer technischen Überarbeitung auf einer späteren Sitzung förmlich angenommen. Als rechtsverbindliches Dokument muss der Vertrag anschließend von den Mitgliedsländern ratifiziert werden, um in Kraft zu treten.

Kommentare von Forschenden des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel:

GEOMAR-Direktorin Professor Dr. Katja Matthes:

„Endlich haben wir ein internationales Rahmenwerk, das uns die Instrumente an die Hand gibt, den Ozean nachhaltig und gerecht zu schützen und zu nutzen. Obwohl alle Nationen der Welt ein Interesse daran haben sollten, den Ozean als unsere Lebensgrundlage auf unserem blauen Planeten zu erhalten, werden uns Möglichkeiten, den Schutz durch Mehrheitsentscheidungen voranzutreiben und Ambitionen der Länder zu nutzen, beim Vorankommen helfen. Die Wissenschaft kann auch die Entwicklung von Maßnahmen unterstützen, welche im Vertrag angesprochen werden. Dazu zählt auch die Entwicklung von transparenten Kriterien für verschiedene wichtige Aktivitäten auf hoher See – einschließlich der Forschung. Dies ist ein Moment, in dem alle Hände an Deck gefragt sind. Das GEOMAR ist bereit, in diesem Zusammenhang eine Rolle zu übernehmen.“

Professor Dr. Martin Visbeck, Ozeanograph am GEOMAR:

„Die Einigung auf den Hochseevertrag zeigt, dass multilaterale Abkommen trotz zunehmender geopolitischer Spannungen vorangebracht werden können, und demonstriert die Bereitschaft unserer Nationen, nicht-nachhaltige Wechselwirkungen zwischen Mensch und Ozean anzugehen und zu reduzieren. Ich betrachte dies als einen wichtigen Erfolg im Beginn der Dekade der Meeresforschung für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (2021-2030) in einem Bereich, in dem die wissenschaftlichen Erkenntnisse eindeutig sind und politische Maßnahmen fehlten.“

Dr. Rainer Froese, Fischereibiologe am GEOMAR:

„Die Überfischung hat ikonischen Arten der Hochsee wie Thunfische, Schwertfische, Marline und Haie stark dezimiert. Das neue Abkommen schafft endlich die rechtliche Grundlage, um große Gebiete für den Fischfang zu sperren und damit diesen Arten eine Chance zur Erholung zu geben.“

Dr. Matthias Haeckel, Meeresbiogeochemiker am GEOMAR:

„Das Abkommen über die marine Biodiversität in Gebieten jenseits der nationalen Gerichtsbarkeit (BBNJ) bietet den notwendigen starken Anreiz für einen wirksamen Schutz der Tiefsee-Ökosysteme, ihrer biologischen Vielfalt und ihrer Funktionen, insbesondere im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen über internationale Regelungen für den Abbau von mineralischen Rohstoffen in der Tiefsee durch die Internationale Meeresbodenbehörde.“

Professor Dr. Ute Hentschel Humeida, marine Mikrobiologin am GEOMAR

„Es ist besonders lobenswert, dass der gleichberechtigte und faire Vorteilsausgleich für genetische Ressourcen zwischen den Entwicklungsländern auf effiziente Weise durch eine einfache Clearingstelle für jedes Projekt organisiert wird. Erst später, wenn der wirtschaftliche Nutzen eintritt, werden die Industrienationen direkt finanziell davon profitieren, wodurch der Aufbau von Forschungskapazitäten gefördert wird.“

Professor Dr. Thorsten Reusch, Meeresökologe am GEOMAR

„Die eigentliche Arbeit liegt nun vor der internationalen Gemeinschaft, um Schutzgebiete zu schaffen, die ihren Namen verdienen und nicht nur ‚Papierparks‘ ohne wirksame Regulierung von Fischerei, Energieerzeugung, Schifffahrt und anderer Nutzung sind, wie es heute meist der Fall ist. Aber die wichtige Botschaft ist, dass es jetzt einen Weg gibt, solche Gebiete auf transparente, verbindliche und rechenschaftspflichtige Weise umzusetzen.“

Welle auf El Hierro.

Welle auf El Hierro. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR