Besonders Küstengebiete und Kontinentalränder stellen sehr aktive Grenzen für Veränderungen des Meerwassers hinsichtlich einiger Elementverhältnisse dar. Foto: Fernando Jorge
Dr. Mario Lebrato, Erstautor der Studie, nimmt Proben des Meerwassers auf einer Expedition von Menorca nach Sardinien. Foto: Mario Lebrato
Die Grenze von Land und Ozean ist eine aktive Zone für den chemischen Element-Transfer. Hier zu sehen ist ein Teil des Bazaruto Archipels im Indischen Ozean, ein komplexes System, das Sanddünen, offenes Meer, Korallenriffe und Seegraswiesen beinhaltet. Das macht die gemessenen Element-Verhältnisse komplizierter. Foto: Mario Lebrato
Polare Meere sind eine Herausforderung bei der Erforschung der Meerwasser-Zusammensetzung. Jetzt ist bekannt, wie Eisbildung und -schmelze die Verhältnisse der Elemente Magnesium, Kalzium und Strontium beeinflussen. Internationale Zusammenarbeit hat den Zugriff auf solche Proben erleichert.. Foto: Debora Iglesias-Rodriguez
Mit einer solchen CTD-Rosette werden Wasserproben genommen, hier im Rahmen der Bermuda Atlantic Time-series Study (BATS) im Atlantik. Foto: Mario Lebrato
Korallenriffe wie dieses im Roten Meer sind aktive Ökosysteme, wo große Mengen an Elementen aus dem Ozean aufgenommen und in diesen abgegeben werden, zum Beispiel durch Verkalkung, Ablagerung oder Ablösung. Diese Prozesse haben großen Einfluss auf die Element-Verhältnisse. Foto: Mario Lebrato
Diese Grafik stellt die gemessenen Element-Verhältnisse dar. Durch die Farben wird die Variabilität dieser Messungen deutlich. Grafik: Mario Lebrato

Die Geschichte der Meerwasser-Zusammensetzung neu schreiben

Neue Studie widerlegt bisherige Annahmen zu konstanten Elementverhältnissen im Ozean

27.08.2020/Kiel. Das Verhältnis von Elementen wie Magnesium, Kalzium oder Strontium im Meerwasser zueinander ist eine wichtige Grundlage für die Rekonstruktion vergangener ozeanischer Prozesse. Bisher ging man davon aus, dass diese Verhältnisse über sehr lange Zeit und großräumig konstant sind. Eine Studie unter Leitung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel zeigt jedoch, dass wichtige Elementverhältnisse im heutigen Ozean deutlich variabler sind als bisher angenommen. Diese Erkenntnis wirft auch Fragen zur Rekonstruktion der Ozeangeschichte auf. Die Studie ist gestern in der internationalen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences USA (PNAS) erschienen.

Um aktuelle Entwicklungen im Ozean zu verstehen und zukünftige prognostizieren zu können, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Allerdings reichen konkrete Messdaten kaum 150 Jahre zurück. Für Informationen aus weiter zurückliegenden Epochen nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler natürliche Archive, die indirekt etwas über damalige Prozesse im Ozean aussagen. Die Bestimmung der Verhältnisse zwischen bestimmten Elementen im Meerwasser, zum Beispiel Magnesium zu Kalzium oder Strontium zu Kalzium, ist dabei ein wichtiges Werkzeug. Diese Element-Verhältnisse werden in den Karbonat-Skeletten von Organismen wie Foraminiferen oder Korallen „eingefroren“ und ermöglichen dann wichtige Rückschlüsse auf Meerwassertemperaturen und andere Umweltbedingungen aus lange vergangenen Zeiten.

Bislang ging man davon aus, dass diese Element-Verhältnisse im Ozean relativ konstant sind und sich nur sehr langsam über Millionen von Jahren verändern. Jetzt hat eine internationale Forschergruppe unter der Leitung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel im Rahmen des Future Ocean Netzwerkes diese Annahme durch eine umfangreiche Studie überprüft. „Dabei fanden wir heraus, dass sich die Variabilität der Magnesium-zu-Kalzium- und Strontium-zu-Kalzium-Verhältnisse im heutigen Ozeanwasser von Ökosystem zu Ökosystem deutlich unterscheiden kann. Da man bislang von einer weitgehend einheitlichen Zusammensetzung im gesamten Ozean ausgegangen war, stellt sich die Frage, ob bisher ein Umwelteffekt übersehen wurde“, sagt Dr. Mario Lebrato, der die Studie vom Institut für Geowissenschaften der CAU aus initiiert hat. Sie ist jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.

Für die Studie haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mehr als zehn Ländern über neun Jahre auf 79 Schiffsexpeditionen weltweit 1100 Proben in 14 verschiedenen Ökosystemen von der Wasseroberfläche bis in 6000 Metern Tiefe gesammelt und anschließend analysiert. Die Ergebnisse sind sowohl relevant für die Rekonstruktion der Ozeangeschichte als auch für das Verständnis von aktuellen biogeochemischen Prozessen.

„Für die Rekonstruktion von Ozeantemperaturen in früheren Epochen der Erdgeschichte sind wir bisher von bekannten und konstanten Verhältnissen im Meerwasser ausgegangen. In unserem Labor haben wir die Präzision zur Bestimmung dieser Verhältnisse um ein Vielfaches verbessert und können mit unseren neuen hochpräzisen Daten jetzt zeigen, dass diese Annahme nicht immer zutrifft“, sagt Co-Autor Dr. Dieter Garbe-Schönberg, Leiter der Labore für Spurenelementgeochemie am Institut für Geowissenschaften an der Universität Kiel.

„Es ist spannend, solch große räumliche Unterschiede der Element-Verhältnisse im heutigen Ozean zu sehen. Sie sind nur schwer mit unserer derzeitigen Vorstellung von Transport und Vermischung von Wassermassen zu vereinbaren. Sie stellen daher eine Herausforderung für Ozeanmodellierer dar, diese Muster mit dem in Einklang zu bringen, was wir über die Ozeanphysik und die Senken und Quellen dieser chemischen Elemente wissen", ergänzt Prof. Dr. Andreas Oschlies, Leiter der Abteilung Biogeochemische Modellierung am GEOMAR und ebenfalls Co-Autor der Studie.

Die Forschung müsse jetzt verstehen, was die aktuelle Variabilität der Element-Verhältnisse verursacht und welche Auswirkungen sie hat. „Erst wenn wir die zu Grunde liegenden Mechanismen tiefgreifend verstehen, können wir die Element-Verhältnisse besser für verschiedene meereswissenschaftliche Disziplinen und Fragestellungen nutzen“, betont Dr. Lebrato, der mittlerweile am Bazaruto Center for Scientific Studies in Mosambik arbeitet, mit Blick in die Zukunft. Dies gilt besonders für Meeresregionen in Küstennähe und in hohen Breiten der Sub-Polargebiete. Hier müssen dann auch die Methoden zur Rekonstruktion der Ozeantemperaturen in der Vergangenheit entsprechend der regionalen Ökosysteme korrigiert werden.

Die Wasseroberfläche von unten.
Besonders Küstengebiete und Kontinentalränder stellen sehr aktive Grenzen für Veränderungen des Meerwassers hinsichtlich einiger Elementverhältnisse dar. Foto: Fernando Jorge
Autor der Studie Dr. Mario Lebrato nimmt Proben des Meerwassers auf einer Expedition von Menorca nach Sardinien.
Dr. Mario Lebrato, Erstautor der Studie, nimmt Proben des Meerwassers auf einer Expedition von Menorca nach Sardinien. Foto: Mario Lebrato
Der Bazaruto Archipel, Mosambik.
Die Grenze von Land und Ozean ist eine aktive Zone für den chemischen Element-Transfer. Hier zu sehen ist ein Teil des Bazaruto Archipels im Indischen Ozean, ein komplexes System, das Sanddünen, offenes Meer, Korallenriffe und Seegraswiesen beinhaltet. Das macht die gemessenen Element-Verhältnisse komplizierter. Foto: Mario Lebrato
Forschungsschiff im polaren Meer.
Polare Meere sind eine Herausforderung bei der Erforschung der Meerwasser-Zusammensetzung. Jetzt ist bekannt, wie Eisbildung und -schmelze die Verhältnisse der Elemente Magnesium, Kalzium und Strontium beeinflussen. Internationale Zusammenarbeit hat den Zugriff auf solche Proben erleichert.. Foto: Debora Iglesias-Rodriguez
Eine CTD-Rosette
Mit einer solchen CTD-Rosette werden Wasserproben genommen, hier im Rahmen der Bermuda Atlantic Time-series Study (BATS) im Atlantik. Foto: Mario Lebrato
Ein Korallenriff.
Korallenriffe wie dieses im Roten Meer sind aktive Ökosysteme, wo große Mengen an Elementen aus dem Ozean aufgenommen und in diesen abgegeben werden, zum Beispiel durch Verkalkung, Ablagerung oder Ablösung. Diese Prozesse haben großen Einfluss auf die Element-Verhältnisse. Foto: Mario Lebrato
Karte mit Daten zur Messung der Variabilität.
Diese Grafik stellt die gemessenen Element-Verhältnisse dar. Durch die Farben wird die Variabilität dieser Messungen deutlich. Grafik: Mario Lebrato