Das Team der Expedition SO244 mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE bringt ein Ozeanbodenseismometer vor der Küste Nordchiles aus. Foto: Jan Steffen/GEOMAR

Ausbringen eines Ozeanbodenseismometers vor Nordchile. Foto: Jan Steffen/GEOMAR

Beispiel für eine ozeanische Transformstörung: Die Atlantis-II-Bruchzone im südwestlichen Indischen Ozean mit einem Zoom auf die nördliche Ecke. Deutlich zu sehen ist die größere Wassertiefe im Transformtal. Im Zuge der Plattenbewegung füllt Magmatismus in den Ecken die tiefen Transformtäler wieder auf, so dass die anschließenden Bruchzonen wieder flacher sind. Grafik: Christoph Kersten/GEOMAR nach Grevemeyer et al., 2021

Eine Verschiebung in der Theorie zur Plattentektonik

GEOMAR-Forschende erhalten „Advanced Grant“ des Europäischen Forschungsrats

30.03.2023/Kiel. Unterstützt durch einen der angesehenen Advanced Grants des Europäischen Forschungsrates werden Meeresgeolog:innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel das Verständnis der Plattentektonik aktualisieren. Ihr neu gefördertes Projekt „Transformers“ wird sich auf ozeanische Transformstörungen konzentrieren. Diese Art von Plattengrenzen wurde bisher deutlich weniger beachtet als mittelozeanische Rücken und Subduktionszonen. Diese Verwerfungen durchschneiden Plattenränder als Quertäler und tragen zur Bildung neuer ozeanischer Kruste sowie zur Entstehung von Erdbeben bei.

Unsere Erde ist von großen tektonischen Platten geformt, die sich langsam auseinander, aufeinander zu oder unter einander schieben und dabei Gebirgskämme und Gräben bilden, was Erdbeben und Vulkanismus auslösen kann. Da die meisten Plattengrenzen im tiefen Ozean liegen, lassen sie sich nur schwer untersuchen. Daher sind noch viele Fragen offen, obwohl die Theorie der Plattentektonik seit mehr als 50 Jahren allgemein anerkannt ist. Von den drei verschiedenen Arten von Plattengrenzen haben zwei die meiste wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten: die mittelozeanischen Rücken, an denen sich neuer Meeresboden bildet, und die Subduktionszonen, an denen die Lithosphäre ins Erdinnere zurück transportiert wird. Der dritte Typ, die ozeanische Transformstörung, wurde bisher als weniger wichtig angesehen. Unterstützt durch einen der angesehenen Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) wird ein Team von Forschenden unter Leitung von Professor Dr. Ingo Grevemeyer, Meeresgeologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, das Konzept der ozeanischen Transformstörungen überprüfen und die Theorie der Plattentektonik aktualisieren. Das neue Projekt „Transformers“ wird vom ERC mit 2,8 Millionen Euro für fünf Jahre gefördert.

„Tektonische Platten werden durch den Kreislauf von Krustenmaterial in Bewegung gehalten, das an konvergenten Grenzen ins Erdinnere absinkt, dort schmilzt und in Divergenzzonen zurück zum Meeresboden aufsteigt, um neue ozeanische Kruste zu bilden. Die Ränder der tektonischen Platten sind jedoch keine glatten Linien. Sie sind von Narben und Tälern durchzogen, und es kann zu Verschiebungen kommen – das sind die Transformstörungen, die so lange übersehen wurden“, erklärt Professor Dr. Grevemeyer. Die Struktur dieser Systeme entspreche bei weitem nicht den Annahmen der Plattentektonik, welche die Bewegung der tektonischen Platten der Erde bestimmt, so der Kieler Meeresgeophysiker. „Das Projekt ‚Transformers‘ wird dazu beitragen, das komplexe Verhalten der Transformstörungen besser zu verstehen, aufzuzeigen, wie viel Krustenmaterial sie zur Bildung neuer Kruste beitragen und ihre seismische Aktivität aufzudecken, die für die Gefahr durch Erdbeben entscheidend ist.“

Die Forschenden planen sechs Schiffs-Expeditionen zur 120 Kilometer langen „Oceanographer“-Verwerfung südwestlich der Azoren und zur 850 Kilometer langen „Romanche“-Bruchzone nördlich des Äquators zwischen Brasilien und Westafrika. „Das Projekt wird die Expertise des GEOMAR-Forschungsbereichs 'Dynamik des Ozeanbodens' bündeln und unsere hochmoderne Infrastruktur für Seismologie, Geodäsie und Meeresgeologie optimal nutzen,“ so Professor Dr. Ingo Grevemeyer.

„Wir sind sehr stolz und gratulieren Ingo Grevemeyer zu dieser herausragenden Auszeichnung. Der ERC würdigt damit einmal mehr die Expertise des GEOMAR-Forschungsbereichs ‚Dynamik des Ozeanbodens‘“, betont GEOMAR-Direktorin Professorin Dr. Katja Matthes. „Gemeinsam mit Kolleg:innen aus dem Forschungsbereich ‚Ozeanzirkulation und Klimadynamik‘ erhielten sie erst kürzlich einen ERC Synergy Grant für ihr Projekt T-SECTOR. Darüber hinaus werden die Projekte PRE-COLLAPSE, ebenfalls aus der Abteilung ‚Dynamik des Ozeanbodens‘ und ‚Ocean Glow‘ aus dem Forschungsbereich ‚Marine Biogeochemie‘ mit Starting Grants unterstützt. Dies verdeutlicht den wegweisenden und zukunftsorientierten Charakter unserer Arbeit und die erfolgreiche Zusammenarbeit über die Forschungsbereiche hinweg.“

In der neuen Förderrunde unterstützt der Europäische Forschungsrat (ERC) 218 Advanced Grants in einem breiten Spektrum von Bereichen, von Medizin und Physik bis hin zu Sozial- und Geisteswissenschaften, mit 544 Millionen Euro. Für die Förderung wurden fast 1.650 Bewerbungen eingereicht und von hochkarätig besetzten Fachgremien geprüft. Die Ausgezeichneten dieses Förderwettbewerbs werden ihre Projekte an Universitäten und Forschungszentren in 20 europäischen Ländern durchführen, wobei die meisten Projekte in Deutschland (37), dem Vereinigten Königreich (35), Frankreich (32) und Spanien (16) durchgeführt werden. Die Preisträger:innen kommen aus der ganzen Welt und vertreten 27 Nationalitäten.

„Diese neuen ERC Advanced Grantees sind ein Beweis für die herausragende Qualität der in ganz Europa durchgeführten Forschung. Ich freue mich besonders über die hohe Anzahl von Forscherinnen in diesem Wettbewerb und darüber, dass sie immer erfolgreicher bei der Einwerbung von Fördermitteln sind. Wir freuen uns auf die Ergebnisse der neuen Projekte in den kommenden Jahren, von denen viele wahrscheinlich zu Durchbrüchen und neuen Fortschritten führen werden“, sagt ERC-Präsidentin Maria Leptin.

Hintergrund: Europäischer Forschungsrat (ERC)

Der 2007 von der Europäischen Union gegründete Europäische Forschungsrat (ERC) ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er fördert kreative Forschende aller Nationalitäten und jeden Alters, die Projekte in ganz Europa durchführen. Der ERC bietet vier zentrale Förderprogramme an: Starting Grants (für Wissenschaftler:innen, die erst kürzlich promoviert haben), Consolidator Grants (für Wissenschaftler:innen in der mittleren Phase ihrer Karriere), Advanced Grants (für erfahrene Wissenschaftler:innen) und Synergy Grants (für Projekte, die das Fachwissen mehrerer Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Bereichen vereinen). Der ERC wird von einem unabhängigen Leitungsgremium, dem wissenschaftlichen Rat, geleitet. Seit dem 1. November 2021 ist Maria Leptin Präsidentin des ERC. Das Gesamtbudget des ERC für die Jahre 2021 bis 2027 beläuft sich auf mehr als 16 Milliarden Euro. Es ist Teil des Programms Horizont Europa, für das die EU-Kommissarin für Innovation, Forschung, Kultur, Bildung und Jugend, Mariya Gabriel, zuständig ist.

Ausbringen eines Ozeanbodenseismometers

Das Team der Expedition SO244 mit dem deutschen Forschungsschiff SONNE bringt ein Ozeanbodenseismometer vor der Küste Nordchiles aus. Foto: Jan Steffen/GEOMAR

Ausbringen eines Ozeanbodenseismometers

Ausbringen eines Ozeanbodenseismometers vor Nordchile. Foto: Jan Steffen/GEOMAR

Die Atlantis-II-Bruchzone im südwestlichen Indischen Ozean

Beispiel für eine ozeanische Transformstörung: Die Atlantis-II-Bruchzone im südwestlichen Indischen Ozean mit einem Zoom auf die nördliche Ecke. Deutlich zu sehen ist die größere Wassertiefe im Transformtal. Im Zuge der Plattenbewegung füllt Magmatismus in den Ecken die tiefen Transformtäler wieder auf, so dass die anschließenden Bruchzonen wieder flacher sind. Grafik: Christoph Kersten/GEOMAR nach Grevemeyer et al., 2021