Das For­schungs­schiff MA­RIA S. ME­RI­AN ver­lässt 2014 den Ha­fen von St. Johns‘ (Ka­na­da). Auf der Ex­pe­di­ti­on MSM 39 (2014) wurden Proben für die jetzt erschienene Stu­die ge­won­nen. Foto: Dagmar Kie­ke, MARUM
Tiefsee-Sedimentkern mit groben eistransportierten lithogenen Komponenten (Heinrich-Lage). Foto: Lars Max. MARUM
Planktische Mikrofossilen wie die Art Neogloboquadrina pachyderma sinistral tragen die isotopengeochemischen Informationen, mit denen die ozeanographischen und klimatischen Rekonstruktionen durchgeführt werden. Foto: Antonov, Public domain, via Wikimedia Commons

Hei­ße Spur bei Ur­sa­chen­su­che für ra­pi­de Eis­schild-In­sta­bi­li­tä­ten in der Kli­ma­ge­schich­te

Wär­mestau im tie­fe­ren sub­po­la­ren Nord­at­lan­tik Aus­lö­ser für so­ge­nann­te Hein­rich-Er­eig­nis­se.

22.07.2022/Bremen/Kiel. Extreme Kälteereignisse während der letzten Eiszeit, sogenannte Heinrich-Ereignisse im Nordatlantik, sind ein gutes Beispiel dafür, wie lokale Prozesse das globale Klima veränderten. Während in der Forschung gut dokumentiert ist, wie sich die Heinrich-Ereignisse auf die globale eiszeitliche Umwelt ausgewirkt haben, bleibt die Ursache bisher ungeklärt. Forschende aus Bremen, Kiel, Köln und São Paulo (Brasilien) weisen nun in einer neuen Studie nach, dass ein Wärmestau in der tieferen Labradorsee Instabilitäten des damaligen Laurentidischen Eisschildes, das einen großen Teil Nordamerikas bedeckte, verursachte. Als Folge wurden Heinrich-Ereignisse ausgelöst. Dafür rekonstruierten die Forschenden den Temperatur- und Salzgehalt im subpolaren Nordatlantik. Ihre Ergebnisse sind jetzt in Nature Communications erschienen.

- Gemeinsame Pressemitteilung des MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men und des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel -

Hein­rich-Er­eig­nis­se, oder ge­nau­er Hein­rich-La­gen, sind wie­der­keh­ren­de, auf­fäl­li­ge, meist zehn bis 15 Zen­ti­me­ter di­cke Schich­ten mit sehr gro­ben Ge­steins­kom­po­nen­ten, die die fein­kör­ni­gen, ozea­ni­schen Ab­la­ge­run­gen des Nord­at­lan­tiks un­ter­bre­chen. In der 1980er-Jah­ren von dem Geo­lo­gen Hart­mut Hein­rich ent­deckt und erst­ma­lig be­schrie­ben, wur­den sie spä­ter durch den us-amerikanischen Geo­che­mi­ker Wal­ly Bro­ecker als Hein­rich-La­gen bekannt gemacht – ein ste­hen­der Be­griff in der Pa­läo­zea­no­gra­phie.

Die Hein­rich-La­gen wur­den im ge­sam­ten Nord­at­lan­tik nach­ge­wie­sen, vor Is­land bis weit in den Sü­den ent­lang der Li­nie New York bis Nord­afri­ka. Solch gro­ber Ge­steins­schutt konn­te nur durch Eis­ber­ge so weit vom Ur­sprungs­ort in der Hud­son Bay trans­por­tiert wor­den sein.

„Die ei­gent­li­che Be­deu­tung die­ser Hein­rich-Er­eig­nis­se liegt aber in der Tat­sa­che, dass mit den Ab­schmelz­pha­sen und Eis­ber­gen gro­ße Men­gen Frisch­was­ser in den Nord­at­lan­tik ver­bracht wur­den“, sagt Lars Max, Pa­läo­zea­no­graph vom MARUM – Zen­trum für Ma­ri­ne Um­welt­wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät Bre­men und Er­st­au­tor der Stu­die. Dar­in ord­net er und sei­ne Co-Au­tor:in­nen die Zu­sam­men­hän­ge von Hein­rich-La­gen, Frisch­was­ser­zu­fuhr und Ver­än­de­run­gen der nord­at­lan­ti­schen Um­wälz­zir­ku­la­ti­on neu. Eine so ge­nann­te dün­ne Frisch­was­ser­lin­se, die Mil­lio­nen von Ku­bik­ki­lo­me­ter Vo­lu­men wäh­rend der Hein­rich-Er­eig­nis­se be­deckt hat, gilt bis­lang als Ur­sa­che da­für, dass die nord­at­lan­ti­sche Um­wälz­zir­ku­la­ti­on (At­lan­tic Me­ri­do­ni­al Over­turning Cir­cu­la­ti­on – kurz AMOC) ge­stört wur­de, be­zie­hungs­wei­se ganz zum Still­stand kam, ver­bun­den mit teils tief­grei­fen­den re­gio­na­len und glo­ba­len kli­ma­ti­schen Fol­ge­er­schei­nun­gen. Die AMOC ist Teil des glo­ba­len För­der­bands von Oze­an­strö­mun­gen, die durch Tem­pe­ra­tur und Salz­ge­halt an­ge­trie­ben wird und eine we­sent­li­che Rol­le im Kli­ma­sys­tem spielt.

„Ur­sprüng­lich wur­den in­ter­ne In­sta­bi­li­tä­ten des Eis­schil­des für des­sen Zer­fall ver­ant­wort­lich ge­macht. Un­se­re Stu­die lie­fert da­ge­gen Be­le­ge, dass Ver­än­de­run­gen im Oze­an de­sta­bi­li­sie­rend auf die Eis­schil­de des nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nents wirk­ten“, so Lars Max. Die Un­ter­su­chung ei­nes Se­di­ment­ker­nes, der am Aus­gang der La­bra­dor­see im Nord­at­lan­tik mit dem For­schungs­schiff MA­RIA S. ME­RI­AN ge­won­nen wur­de, lie­fe­re den ers­ten so­li­den Be­weis für eine wie­der­hol­te, mas­si­ve An­samm­lung von Oze­an­wär­me in tie­fe­ren Schich­ten des sub­po­la­ren Nord­at­lan­tik. Sie hat das Schmel­zen der po­la­ren Eiss­chel­fe von un­ten her er­mög­licht.

„Tat­säch­lich kön­nen wir mit spu­ren­ele­ment- und iso­to­pen­ana­ly­ti­schen Me­tho­den Tem­pe­ra­tur- und Salz­ge­halts­er­hö­hun­gen in etwa 150 Me­ter Was­ser­tie­fe re­kon­stru­ie­ren, die zeit­lich ge­se­hen den Hein­rich-Er­eig­nis­sen stets sys­te­ma­tisch vor­aus­ei­len, und mit Zei­ten ei­ner be­reits ge­schwäch­ten at­lan­ti­schen Um­wälz­zir­ku­la­ti­on kor­re­spon­die­ren“, er­klärt Dirk Nürn­berg vom GEO­MAR Helm­holtz-Zen­trum für Oze­an­for­schung Kiel, der die La­bo­rana­ly­tik ver­ant­wor­tet.

Das spre­che da­für, dass Oze­an­zir­ku­la­ti­ons­än­de­run­gen die­se Eis­schild­in­sta­bi­li­tä­ten aus­ge­löst ha­ben. Eine kon­ti­nu­ier­li­che Er­wär­mung des Oze­ans in die­ser Was­ser­tie­fe ist kri­tisch für die De­sta­bi­li­sie­rung der Eiss­chel­fe von un­ten, und führ­te letzt­end­lich zu ei­nem be­schleu­nig­ten Eis­bergab­fluss – den Hein­rich-Er­eig­nis­sen.

Die Er­kennt­nis­se zu den Pro­zes­sen aus der Erd­ge­schich­te hel­fen auch, Ver­än­de­run­gen bes­ser ab­schät­zen zu kön­nen, die im Zuge der Kli­ma­er­wär­mung zu er­war­ten sein könn­ten. „Soll­te sich die Um­wälz­zir­ku­la­ti­on in Zu­kunft auf­grund der mensch­ge­mach­ten Kli­ma­ver­än­de­rung ab­schwä­chen“, gibt Cristiano Chies­si von der Uni­ver­si­tät São Pau­lo in Bra­si­li­en zu be­den­ken, „wür­den wir eine be­schleu­nig­te Er­wär­mung des tie­fe­ren sub­po­la­ren Nord­at­lan­tiks er­war­ten, die sich ne­ga­tiv so­wohl auf die Sta­bi­li­tät der heu­ti­gen ark­ti­schen Glet­scher als auch den Süß­was­ser­haus­halt des Nord­at­lan­tiks aus­wir­ken könn­te.“

Der ak­tu­el­le Sach­stands­be­richt des Welt­kli­ma­ra­tes (In­ter­go­vern­men­tal Pa­nel on Cli­ma­te Chan­ge – IPCC, 2021) kommt zu dem Schluss, dass es mit ei­ner fort­schrei­ten­den Kli­ma­er­wär­mung zu ei­ner Ab­schwä­chung der Um­wälz­zir­ku­la­ti­on im At­lan­ti­schen Oze­an in­ner­halb die­ses Jahr­hun­derts kom­men könn­te. Eine stär­ke­re Er­wär­mung des tie­fe­ren sub­po­la­ren Nord­at­lan­tiks und ein ver­stärk­tes Ab­schmel­zen ark­ti­scher Glet­scher­mas­sen könn­ten als mög­li­che Fol­gen den glo­ba­len An­stieg des Mee­res­spie­gels zu­sätz­lich be­schleu­ni­gen. Es sei je­doch zu er­war­ten, so Lars Max, dass die Sta­bi­li­tät des Ant­ark­ti­schen Eis­schil­des eine weit er­heb­li­che­re Rol­le für den Ver­lauf des glo­ba­len Mee­res­spie­gel­an­stie­ges spie­len wird. Wei­te­re Stu­di­en sei­en drin­gend er­for­der­lich, um bes­ser ab­schät­zen zu kön­nen, in­wie­weit sich eine künf­ti­ge Ver­lang­sa­mung der Um­wälz­zir­ku­la­ti­on und eine mög­li­che Er­wär­mung des tie­fe­ren Oze­ans auf die zu­künf­ti­ge Sta­bi­li­tät des ant­ark­ti­schen Eis­schil­des aus­wir­ken könn­te.  

Originalpublikation:

Lars Max, Dirk Nürn­berg, Cris­tia­no Ma­zur Chies­si, Mar­le­ne M. Lenz, Ste­fan Mu­litza: Sub­sur­face oce­an war­ming pre­ce­ded Hein­rich Events. Na­tu­re Com­mu­ni­ca­ti­ons 2022. DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-022-31754-x

For­schungs­schiff MA­RIA S. ME­RI­AN
Das For­schungs­schiff MA­RIA S. ME­RI­AN ver­lässt 2014 den Ha­fen von St. Johns‘ (Ka­na­da). Auf der Ex­pe­di­ti­on MSM 39 (2014) wurden Proben für die jetzt erschienene Stu­die ge­won­nen. Foto: Dagmar Kie­ke, MARUM
Sedimentkerne
Tiefsee-Sedimentkern mit groben eistransportierten lithogenen Komponenten (Heinrich-Lage). Foto: Lars Max. MARUM
Foraminiferen
Planktische Mikrofossilen wie die Art Neogloboquadrina pachyderma sinistral tragen die isotopengeochemischen Informationen, mit denen die ozeanographischen und klimatischen Rekonstruktionen durchgeführt werden. Foto: Antonov, Public domain, via Wikimedia Commons