Klimawandel in der Arktis ist nicht übersehbar
04.05.2009, Kiel – Orkanartige Stürme, randalierende Eisbären und Eisschollen, die mit wertvollen Messgeräten aufs Meer abtrieben – die Natur hat es den 18 Forschern der Arktisexpedition TRANSDRIFT XV wahrlich nicht leicht gemacht. Unter der Leitung von Dr. Heidemarie Kassens vom Kieler Leibniz-Institut für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) und zeitweise unterstützt von Schleswig-Holsteins Europaminister Uwe Döring untersuchten die Wissenschaftler aus Deutschland und Russland sechs Wochen lang Klimasignale im Nordpolarmeer. Trotz aller Schwierigkeiten sammelte das Team wertvolle Daten. Schon jetzt ist klar: Die Veränderungen in diesem für das Weltklima wichtigen Gebiet sind deutlich.
Ziel der Expedition TRANSDRIFT XV waren die so genannten Polynjas der zentralsibirischen Laptev-See. Polynjas sind freie Wasserflächen, die auch im arktischen Winter zwischen dem Festeis der Küstenregion und dem Packeis des Nordpolarmeeres offen bleiben. Sie sind von zentraler Bedeutung für die Schifffahrt, aber auch für den Energiehaushalt und die Produktion von neuem Meereis – und damit für das Klimageschehen weltweit.
Operationsbasis für die Expedition war die Hafenstadt Tiksi am Lena-Delta. In dem 5000-Einwohner-Ort lebten und arbeiteten die Teilnehmer in Einrichtungen des Lena-Delta-Reservates. Zwei Hubschrauber der russischen Armee transportierten Wissenschaftler und Material von dort zum eigentlichen Untersuchungsgebiet. Flugzeit: zwei bis drei Stunden. „Ohne die überaus professionelle Hilfe der Piloten wäre die gesamte Arbeit nicht zu bewältigen gewesen“, betont Dr. Kassens. Auf dem Festeis der Laptev-See angekommen, errichteten die Forscher mehrere provisorischen Camps, von denen aus sie meteorologische, ozeanographische, biologische, und meereschemische Untersuchungen durchführten.
„Insgesamt war die Expedition ein voller Erfolg“, zieht Dr. Kassens nach der Rückkehr eine erste Bilanz. Die Auswertung aller gewonnenen Daten dauere zwar noch an, aber schon jetzt sei klar, dass das Polynja-System viel sensibler auf Umweltveränderungen reagiere als bisher angenommen. „Schon kleine Schwankungen der Wetterbedingungen beeinflussen die Eisproduktion für die Arktis. In diesem Winter ist dort beispielsweise sehr wenig Eis entstanden“. Auch die biologischen Untersuchungen deuten auf Veränderungen in der Laptev-See hin. „Immer mehr Planktonarten aus dem Atlantik verdrängen die arktische Arten“, erklärt Dr. Kassens. Und ein Phänomen konnten die Forscher am eigenen Leibe erfahren: „Der Frühlingsanfang lag mindestens zwei Wochen früher als bei bisherigen Expeditionen in der Region“. Statt in frostig-klarem Wetter zu arbeiten mussten die Forscher daher häufig mit Stürmen zurechtkommen, was die Untersuchungen teilweise sehr erschwerte.
Unterstützung erhielt das Team in den letzten zwei Wochen von einem absoluten Arktis-Neuling. Uwe Döring, hauptberuflich Minister für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig-Holstein, hatte sich den Polarforschern in seinem Frühjahrsurlaub als freiwilliger Helfer zur Verfügung gestellt. Seit seiner Ankunft in Tiksi am 15. April packte er mit an, begleitete die Wissenschaftler bei den unterschiedlichen Arbeiten auf dem Eis und erlebte dabei die Faszination, aber auch die Tücken der Polarforschung. Die Stille und die unendliche Weite auf dem Eis seien für ihn unvergesslich, berichtet der Minister nach seiner Rückkehr. „Außerdem hat mich beeindruckt, den Klimawandel und seine Folgen hautnah zu erleben“, sagt Döring, „ich fürchte, er ist weiter, als wir wahrhaben wollen.“ Diese Erfahrung habe auch Einfluss auf seine zukünftige Arbeit als Politiker, so Döring weiter: „Mir ist noch bewusster, dass wir die Programme zum Klimaschutz, die wir bereits aufgelegt haben, weiterführen und ausbauen müssen“. Die Arbeit mit den Forschern habe ihm außerdem deutlich gezeigt, wie wichtig es sei, den Wissenschaftsstandort Schleswig-Holstein zu stärken. „Klimagefahren, aber auch zukünftige Rohstoffe oder Verkehrswege liegen oft in Regionen, über die man noch zu wenig weiß. Bei der Erforschung und Erschließung benötigen wir Experten. Es ist gut, wenn wir die bei uns im Land haben“, betont Döring.
Hintergrundinformationen:
Die Expedition TRANSDRIFT XV startete am 15. März 2009. Insgesamt 18 Wissenschaftler des Kieler Leibniz-Instituts für Meerswissenschaften (IFM-GEOMAR), des Alfred-Wegner-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) aus Bremerhaven, des Staatlichen Instituts für Arktis und Antarktisforschung der Russischen Föderation (AARI), des Lena-Delta-Reservates sowie der Universitäten Trier, Moskau und St. Petersburg nahmen teil. Am 29. April kehrten die deutschen Teilnehmer in die Heimat zurück. Die Expedition wurde finanziert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projektes „Laptev-See-Polynja“ sowie von russischer Seite vom AARI und vom russischen Ministerium für Wissenschaft und Bildung. Transdrift XV war die zweite Winterexpedition des Projektes in der Region.
Ansprechpartner:
Jan Steffen (Öffentlichkeitsarbeit), Tel. 04 31 / 6 00 – 2811, jsteffen@geomar.de