Ein internationales Wissenschafts-Team erforscht von Bord der MARIA S. MERIAN die Unterwasserlebensräume der Tiefsee rund um Madeira. Foto: GEOMAR

Während der Fahrt werden die Forschenden eine breite Palette modernster Instrumente und Technologien einsetzen, darunter das Tiefsee-Kamerasystem PELAGIOS, mit dem unter anderem Organismen in ihrer natürlichen Umgebung dokumentiert werden. Foto: Solvin Zankl

In der Tiefe verborgene Artenvielfalt: Es ist sehr wahrscheinlich, dass während der Ausfahrt MSM126 bislang unbeschriebene Lebewesen entdeckt werden, wie die Kaninchenohr-Rippenqualle Kiyohimea usagi, die 2018 erstmals im Atlantik gefunden wurde. Bis dahin war angenommen worden, das Tier lebe ausschließlich im Pazifik. Foto: Henk-Jan Hoving, GEOMAR

Mit Schleppkamera und Unterwasser-Roboter auf Entdeckungsfahrt

Expedition MSM126 erkundet Tiefsee-Lebensräume rund um Madeira

08.02.2024/Kiel/Funchal. Quallen sind nur schwer zu untersuchen, denn sie sind sehr fragil und es ist schwierig, sie mit Netzen intakt zu fangen. Deshalb ist der Beitrag des gelatinösen Planktons zum Nahrungsnetz im Ozean noch kaum erforscht. Dies gilt insbesondere für die Tiefsee, die generell noch viele weiße Flecken auf der Wissenslandkarte aufweist. Eine internationale Expedition mit Expert:innen aus verschiedenen Forschungsfeldern macht sich morgen auf den Weg, unbekannte unterseeische Lebensräume mit ihrer Artenvielfalt rund um die Insel Madeira zu erkunden. Dabei gehen die Forschenden insbesondere der Frage nach, welche Rolle Quallen im Nahrungsnetz des Ozeans spielen.

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auf der Fahrt neue Arten entdecken werden”, sagt Dr. Jan Dierking. Der Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Meeresforschung Kiel ist Fahrtleiter der Expedition MSM126 „Jellyweb Madeira“ auf dem deutschen Forschungsschiff MARIA S. MERIAN, das morgen ausläuft, um die Unterwasserlebensräume rund um Madeira zu erforschen. Und seine Erwartungen dürften kaum zu hochgesteckt sein, denn die geplanten Untersuchungen beziehen sich in großen Teilen auf die Tiefsee, und dieser Lebensraum ist noch immer weitgehend unerforscht. Die Gründe dafür sind einerseits die extremen Bedingungen: Es ist dunkel, kalt, und es herrscht ein enormer Druck. Vor allem aber ist die Tiefsee tief. Um dort Proben zu nehmen, braucht es sehr spezielle Geräte.

Während der Fahrt wird das internationale Team aus 22 Wissenschaftler:innen aus fünf Ländern daher eine breite Palette modernster Instrumente und Technologien einsetzen, darunter Echolote, Schleppkameras, einen Tiefseeroboter und verschiedene Netze, um die biologische Vielfalt und die Nahrungsnetze der Tiefsee zu erforschen.  

„Die Echolote und Schleppkameras werden wir zunächst einsetzen, um drei Gebiete rund um die Insel Madeira von einer Tiefe von 50 Metern bis hinunter auf 3000 Meter zu kartieren“, erklärt Co-Fahrtleiter Dr. Henk-Jan Hoving, „einen Tiefsee-Canyon, ein ausgedehntes Unterwasserplateau und einen unterseeischen Bergrücken.“

Das Foto- und Videosystem XOFOS (Ocean Floor Observing System, Ozeanboden-Beobachtungssystem) filmt und fotografiert für die Kartierung den Meeresboden. Das mit einer Kamera, Lichtquellen und Sensoren zur Messung von Umweltdaten ausgestattete Tiefsee-Kamerasystem PELAGIOS (Pelagic in Situ Observation System, Pelagisches in-situ-Beobachtungssystem) kann Tag und Nacht im Freiwasser eingesetzt werden und ermöglicht es, Organismen lebend in ihrer natürlichen Umgebung zu dokumentieren. Dabei erhoffen sich die Wissenschaftler:innen, bislang unentdeckte Lebensräume wie Korallengärten oder Tiefseeriffe zu finden, an die sie dann zur gezielten Probennahme zurückkehren können.

Für die Beprobungen haben sie das „Schweizer Taschenmesser der Meeresforschung“ dabei, wie Jan Dierking und Henk-Jan Hoving sagen – ein Taschenmesser von der Größe eines Autoanhängers: Das ROV PHOCA, ein ferngesteuerter Unterwasserroboter, der bis zu 2000 Meter in die Tiefe tauchen kann und über eine Glasfaserverbindung hochauflösende Live-Videos aus der Tiefsee an die Oberfläche überträgt. Er kann je nach Einsatz mit einer Vielzahl wissenschaftlicher Instrumente ausgerüstet werden. Während der MSM126 soll er sowohl im Freiwasser als auch am Meeresboden eingesetzt werden. Im offenen Wasser wird eine „Slurp Gun“, eine Art Staubsauger, die empfindlichen gallertartigen Organismen schonend einsammeln – „eine riesige Chance, Tiefseearten unbeschadet nach oben zu holen und zu beschreiben“. Am Meeresboden wird das ROV Proben von Sedimenten, Korallen oder Schwämmen nehmen. Außerdem dient es dort als Plattform für Experimente zu den so genannten Nahrungsfällen (food falls), also dem, was aus den oberen Schichten des Ozeans hinabsinkt. „Wir wollen sehen, wie die Lebewesen im Freiwasser mit der Tiefsee in Verbindung stehen: Wer frisst hier wen, wer steht mit wem in Konkurrenz?“, erklärt Dr. Jan Dierking. „Ich bin schon sehr gespannt, was das ROV, unser Auge am Meeresboden, erblicken wird.“

Eine zentrale Fragestellung ist, welche Rolle gelatinöses Zooplankton, also Quallen, im ozeanischen Nahrungsnetz spielen. Dazu gibt es noch nicht viele Erkenntnisse, denn Quallen zu untersuchen ist schwierig. Sie sind sehr fragil, lassen sich nur schwer unversehrt mit Netzen fangen, weshalb ihre Bedeutung für die Nahrungsnetze wahrscheinlich unterschätzt wird. Co-Fahrtleiter Dr. Henk-Jan Hoving: „Diese Gruppe von Lebewesen ist sehr vielfältig. Einige von ihnen können eine Länge von mehreren Metern erreichen. Manche sind Räuber, die Krebstiere, Fische oder andere gelatinöse Organismen fressen. Andere ernähren sich von Detritus, dem abgestorbenen und verrottenden Material, das in der Wassersäule reichlich vorhanden ist.“

Das Nahrungsnetz der gelatinösen Organismen, auch als Jellyweb bezeichnet, spiele daher wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung von organischem Material, denn Quallen können in großer Zahl auftreten, sagt der Tiefsee-Experte. Und stirbt so eine „Quallenblüte“, sinkt möglicherweise auch eine sehr große Menge Biomasse ab. Dr. Jan Dierking: „Wieviel davon eigentlich am Meeresgrund ankommt und wer sich davon ernährt, wissen wir für viele Regionen – darunter auch Madeira – noch nicht.“ Das Jellyweb könnte eine Schlüsselrolle in den ozeanischen Nahrungsnetzen spielen und auch erheblich am Export von Kohlenstoff in die Tiefsee beteiligt sein.

Auf Madeira selbst ist das öffentliche Interesse an der Expedition groß. So wird es beispielsweise für Schulkinder eine Live-Schalte auf das Schiff geben, bei der sie den Wissenschaftler:innen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen können. Dr. Dierking: „Es gibt auf Madeira große Bestrebungen, das Wissen über die Tiefsee zu mehren, um diese besser schützen zu können.“ Er hofft, mit den auf der Expedition gewonnenen Daten nicht nur Wissenslücken zu füllen, sondern auch ganz konkret zum Schutz der Lebensräume und der Artenvielfalt des Meeres rund um Madeira beitragen zu können.

Expedition auf einen Blick:

FS MARIA S. MERIAN-Expedition MSM126

Name: Jellyweb Madeira

Region: Mittlerer Ostatlantik

Fahrtleitung: Dr. Jan Dierking, Dr. Henk-Jan Hoving

Start: 09. Februar 2024, Funchal (Portugal)

Ende: 04. März 2024, Las Palmas (Spanien)

Projekt-Förderung:

Die Expedition wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Ein Forschungsschiff mit dunkelblauem Rumpf und weißen Aufbauten auf dem Meer

Ein internationales Wissenschafts-Team erforscht von Bord der MARIA S. MERIAN die Unterwasserlebensräume der Tiefsee rund um Madeira. Foto: GEOMAR

Drei Personen arbeiten an einem Stahlreifen, der mit Scheinwerfern und Kameras ausgestattet ist an Bord eines Schiffes

Während der Fahrt werden die Forschenden eine breite Palette modernster Instrumente und Technologien einsetzen, darunter das Tiefsee-Kamerasystem PELAGIOS, mit dem unter anderem Organismen in ihrer natürlichen Umgebung dokumentiert werden. Foto: Solvin Zankl

Eine bläulich leuchtende Qualle, die unter Wasser von einem Scheinwerfer angestrahlt wird

In der Tiefe verborgene Artenvielfalt: Es ist sehr wahrscheinlich, dass während der Ausfahrt MSM126 bislang unbeschriebene Lebewesen entdeckt werden, wie die Kaninchenohr-Rippenqualle Kiyohimea usagi, die 2018 erstmals im Atlantik gefunden wurde. Bis dahin war angenommen worden, das Tier lebe ausschließlich im Pazifik. Foto: Henk-Jan Hoving, GEOMAR