Screenshot der Animation zu Oberflächenströmungen und Meereisverteilung, simuliert durch das hochauflösende Ozeanmodell VIKING20X. Animation: Klaus Getzlaff, GEOMAR
Die Atlantische Meridionalzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) umfasst den gesamten Atlantischen Ozean. Warme (oberflächennahe) Strömungen sind in rot dargestellt, kalte Tiefenströmungen in blau. Die kleinen Kreise zeigen Gebiete mit starker Wirbelaktivität. Die gepunktete Fläche in der Labradorsee zeigt das Gebiet mit Tiefenkonvektion, in dem abgekühlte Wassermassen in Tiefen von mehreren Kilometern absinken. Grafik: C. Böning/M. Scheinert, GEOMAR

Neue Erkenntnisse zu Schwankungen im Atlantischen Strömungssystem

Verbesserte Modelle und Messdaten helfen, die Klimamaschine genauer zu verstehen

01.03.2022/Kiel. Ein gigantisches System von Meeresströmungen im Atlantik befördert unaufhörlich Wasser von Nord nach Süd und zurück. Diese Umwälzbewegung unterliegt starken Schwankungen und hat sich seit den 1990er Jahren abgeschwächt. Da sie auch große Mengen an Wärme transportiert, kann dies auch Folgen für das Klima auf der Erde haben. Fachleute diskutieren, ob die beobachteten Veränderungen bereits auf den Klimawandel zurückzuführen sind – für die Zukunft sagen Modellsimulationen einen solchen Einfluss mit großer Wahrscheinlichkeit voraus. Ein internationales Team hat mit Beteiligung des GEOMAR jetzt genauer analysiert, wie sich diese ozeanische Umwälzbewegung während der vergangenen Jahrzehnte veränderte. Im Fachmagazin Nature Reviews Earth & Environment zeigen die Forschenden, dass das Tempo der Strömung in einem Rhythmus von Jahrzehnten variierte. Der Blick in die Vergangenheit lässt allerdings noch offen, ob der Klimawandel die gegenwärtige Abschwächung verursacht.

Zu den größten Klimamaschinen weltweit gehören die mächtigen Meeresströmungen, die sich unaufhörlich durch den Atlantischen Ozean wälzen. Südlich und östlich von Grönland taucht kaltes und aufgrund seines hohen Salzgehalts schweres Wasser ab und strömt in der Tiefe gen Süden. In der Gegenrichtung fließt warmes Wasser an der Meeresoberfläche aus den Tropen gen Norden. Fachleute bezeichnen diese den gesamten Atlantik umspannende Umwälzbewegung als Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC). Der Golfstrom, der Wärme aus dem Golf von Mexiko quer über den Atlantik nach Europa bringt und uns mildes Klima beschert, ist ein Teil dieser Umwälzbewegung. In den geographischen Breiten, in denen sich diese Wasserwalze besonders schnell bewegt, transportiert sie zusammengerechnet in einer Sekunde fast zwanzigmal mehr Wasser als alle Flüsse der Welt in derselben Zeit ins Meer tragen.

In einem Artikel im Fachmagazin Nature Reviews Earth & Environment zeigt jetzt ein Team von Fachleuten aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika, dass sich die Stärke der nordatlantischen Wasserwalze in einem natürlichen Rhythmus innerhalb von Jahrzehnten verändert. Damit liefert die Arbeit einen wichtigen Beitrag zur vieldiskutierten Frage, ob die Verlangsamung der AMOC, die seit Ende der 1990er-Jahren stattfindet, auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen ist. Da der Wasser- und Wärmetransport eine so große Bedeutung für das Klima hat, interessieren sich Wissenschaftler:innen weltweit sehr für diese Informationen. „Es gibt schon länger Anzeichen dafür, dass sich die AMOC verändert hat. Die Daten waren aber unsicher“, erläutert Professor Dr. Arne Biastoch. Der Experte für Ozeanmodellierung am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel ist als Ko-Autor an der neuen Studie beteiligt. „In dem aktuellen Fachartikel haben wir erstmals die Ergebnisse vieler verschiedener Forschungsarbeiten zusammengetragen, darunter viele Messungen und Ergebnisse aus Computermodellen.“ Die Analysen belegen, dass sich die AMOC in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder abgeschwächt und verstärkt hat. Dies scheint vor allem Teil einer natürlichen Veränderung zu sein, die im Rhythmus mehrerer Jahrzehnte wiederkehrt. „Wir können auf Basis der bisherigen Ergebnisse derzeit allerdings noch nicht sagen, ob darunter bereits eine längerfristige Abschwächung liegt. Eine solche Abschwächung sagen alle Klimamodelle als Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels für die Zukunft voraus“, betont Professor Biastoch.

Am GEOMAR hat ein Team um Professor Biastoch in den vergangenen Jahren mit dem komplexen Computermodell VIKING20X gearbeitet, das die Strömungen und Hydrographie im Atlantik simuliert. Es berücksichtigt Hunderte von Einstellgrößen, um die gigantische Umwälzbewegung im Nordatlantik überhaupt fassen zu können. Da bereits ein einziger falsch eingestellter Parameter die Darstellung beeinträchtigen kann, galten die Ergebnisse von AMOC-Simulationen in der Vergangenheit als unsicher. Heute haben sie dank größerer Rechenleistung eine höhere Auflösung und können dadurch mehr Details darstellen: VIKING20X berechnet die AMOC inzwischen auf einem Raster von wenigen Kilometern. So werden auch die zahlreichen kleinen Wirbel erfasst, in denen sich der gigantische Strom vorwärtsbewegt. „Es ist enorm wichtig, die Vermischung des Wassers in diesen Wirbeln fein aufzulösen. Sonst gibt das Modell ungenaue Daten über die Geschwindigkeit und Temperatur des Wassers aus“, erklärt Professor Biastoch. Auch haben sich die Qualität der Computercodes und die wachsende Menge an verfügbaren Eingabedaten in VIKING20X stark verbessert.

Bereits vor einigen Monaten haben die Kieler Modellierer im Fachmagazin Ocean Sciences einen Fachartikel publiziert, der auf den neuen, verbesserten VIKING20X-Berechnungen basiert. Die Ergebnisse stützen die jetzt in Nature Reviews beschriebenen Erkenntnisse. „Wir können also mit großer Sicherheit sagen, dass die AMOC regelmäßigen Schwankungen unterliegt“, sagt Arne Biastoch. Die derzeit in Fachkreisen diskutierte Annahme, dass die AMOC sich zuletzt vor allem aufgrund des Klimawandels abgeschwächt habe, lasse sich mit diesen Berechnungen noch nicht bestätigen. „Mit einer solchen Aussage sind wir sehr vorsichtig“, sagt er. „Unsere Arbeiten beziehen sich auf die jüngste Vergangenheit. Deswegen bleibt bis auf weiteres unklar, ob die Abschwächung aufgrund des Klimawandels, die alle Klimamodelle für die Zukunft vorhersagen, schon begonnen hat.“

Zur weiteren Verbesserung der Modellsimulationen und der Vorhersage von Klimawandel-bedingten Veränderungen hoffen Professor Biastoch und sein Team auf zusätzliche Messdaten zu Strömung und Hydrografie aus allen Regionen des Atlantiks.

Publikationen:

Jackson, L.C., Biastoch, A., Buckley, M.W., Desbruyères, D.G., Frajka-Williams, E., Moat, B., Robson, J. (2022): The evolution of the North Atlantic AMOC since 1980. Nature Reviews Earth & Environment, https://doi.org/10.1038/s43017-022-00263-2

Biastoch, A., Schwarzkopf, F. U., Getzlaff, K., Rühs, S., Martin, T., Scheinert, M., Schulzki, T., Handmann, P., Hummels, R., and Böning, C. W. (2021): Regional imprints of changes in the Atlantic Meridional Overturning Circulation in the eddy-rich ocean model VIKING20X, Ocean Science, doi: https://doi.org/10.5194/os-17-1177-2021.

Animation:

Getzlaff, Klaus , Schulzki, Tobias und Schwarzkopf, Franziska U. (2022) Simulated near-surface speed combined with ice cover from VIKING20X simulation. DOI 10.3289/iAtlantic_VIKING20X_5day_2000_2009

Animation AMOC
Screenshot der Animation zu Oberflächenströmungen und Meereisverteilung, simuliert durch das hochauflösende Ozeanmodell VIKING20X. Animation: Klaus Getzlaff, GEOMAR
Grafische Darstellung AMOC
Die Atlantische Meridionalzirkulation (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) umfasst den gesamten Atlantischen Ozean. Warme (oberflächennahe) Strömungen sind in rot dargestellt, kalte Tiefenströmungen in blau. Die kleinen Kreise zeigen Gebiete mit starker Wirbelaktivität. Die gepunktete Fläche in der Labradorsee zeigt das Gebiet mit Tiefenkonvektion, in dem abgekühlte Wassermassen in Tiefen von mehreren Kilometern absinken. Grafik: C. Böning/M. Scheinert, GEOMAR