Eisberge in der Labradorsee im August. Meeresforschende der Uni Kiel konnten hier im Rahmen einer Expedition mit der MARIA S. MERIAN (MSM45) mehr als 250 Meter Sedimentkerne gewinnen. Foto: Felix Gross/Uni Kiel

Ozeanerwärmung beschleunigte vor 8.200 Jahren Gletscherschmelze in Kanada

12.02.2019/Kiel. Forschungen im Rahmen der transatlantischen Graduiertenschule HOSST (Helmholtz Research School for Ocean System Science and Technology) haben neue Erkenntnisse erbracht, wie am Ende der letzten Eiszeit starke Schmelzwassereinträge in die Labradorsee ausgelöst wurden und welche Auswirkungen diese auf die Ozeanzirkulation hatten. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Ergebnisse jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Communications veröffenlicht.

Die Labradorsee zwischen Grönland und der Nordküste von Kanada mit der Hudson Bucht im Hinterland ist eines der wichtigsten Randmeere in subpolaren Regionen. Dort sinkt kaltes, salzhaltiges Wasser von der Ozeanoberfläche in die Tiefe. Diese Tiefenwasserbildung gilt als stabilisierender Faktor für die nordatlantische Zirkulation, die - als nordöstlicher Ausläufer des Golfstroms - auch das milde Klima in Europa entscheidend beeinflusst. Wird das fragile System aus dem Gleichgewicht gebracht, zum Beispiel, weil große Eismassen abschmelzen und viel Süßwasser in die Labradorsee fließt, können auch die Temperaturen in Nordeuropa über eine längere Periode stark abkühlen.

Kieler Paläoklimaforscherinnen und -forschern ist es nun gelungen, einen wichtigen Baustein in der Abschwächung der nordatlantischen Zirkulation nach dem Beginn der heutigen Warmzeit vor rund 10.000 Jahren zu entschlüsseln. In einer gemeinsamen Studie mit Kolleginnen und Kollegen aus Kanada und Mainz konnten sie aufzeigen, dass der endgültige Zusammenbruch des gewaltigen Eispanzers in Nordkanada, des Laurentidischen Eisschilds, welches sich während der jüngsten Eiszeit gebildet hatte, durch ein Vordringen warmer Wassermassen aus der Labradorsee in die Hudson Bucht beschleunigt wurde. So gelangten große Mengen an Schmelzwasser in die Labradorsee, was zu der - aus vorherigen Studien schon bekannten - Verlangsamung der nordatlantischen Zirkulation und damit zu einem starken Rückgang der mittleren Temperaturen in Nordeuropa über zwei bis drei Jahrhunderte führte. Die Ergebnisse sind kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

Die Labradorsee mit der Hudson Bucht ist ein ideales Gebiet für Meeresforscherinnen und Meeresforscher. Hier erhalten Sie wichtige Erkenntnisse über die Mechanismen, die für die Tiefenwasserbildung und damit das Absinken von kaltem sauerstoffreichem Wasser in die Tiefe und die Strömung von wärmeren Oberflächenwasser in Richtung Norden verantwortlich sind. Anhand von Sedimentkernen können sie die Klimageschichte von der letzten Eiszeit bis heute rekonstruieren. Dazu werden vor allem Zeiten mit extremen natürlichen Klimaschwankungen erforscht und mit aktuellen Datensätzen verglichen.

Bereits vor rund 8.200 Jahren gab es eine signifikante Abschwächung des Nordatlantikstroms und damit eine Abkühlung der nördlichen Hemisphäre um 1 bis 3 Grad Celsius. Dieses Kälteereignis wurde bisher in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen mit dem Ausbruch des Agassizsees in Verbindung gebracht, einem in vergangenen Zeiten riesigen Gletscherstausee in Nordkanada. Kieler Forscherinnen und Forschern ist es nun gelungen, anhand von Isotopenanalysen an einem besonders gut datierten und hochauflösendem Sedimentkern nachzuweisen, dass der endgültige Zusammenbruch des kanadischen Eisschildes und der Agassiz-Ausbruch durch das Eindringen von warmen Wassermassen aus der Labradorsee in die Hudson Bucht ausgelöst wurde - mit den bekannten Auswirkungen auf die nordatlantische Zirkulation und die daraus resultierende Klimaabkühlung.

„Zum ersten Mal konnten wir nun aufzeigen, dass die Ozeanerwärmung zu Beginn der letzten Warmzeit einen weitaus höheren Einfluss auf das finale Abschmelzen des sogenannten Laurentidischen Eisschildes über dem heutigen Kanada und damit auf die Temperaturen in Nordeuropa hatte als wir bisher vermutet haben,“ sagt Professor Ralph Schneider; Direktor des universitären Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) und Paläoozeanograph am Institut für Geowissenschaften, der die Studie der Erstautorin und Doktorandin Annalena Lochte betreut hatte. „Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass auch die heute beobachtete starke Erwärmung im arktischen Ozean über die grönländischen Fjorde das Abschmelzen des letzten großen Eisschildes in der Nordhemisphäre beschleunigen wird.“

Vor rund drei Jahren haben Klimaforscherinnen und -forscher auf der Expedition mit der Maria S. Merian (MSM-45) unter der Leitung der Universität Kiel in der Labrador See mehr als 250 Meter Sedimentkerne entnommen. Darunter war auch der Kern, der im Rahmen der jetzt veröffentlichten Untersuchung analysiert wurde.

Die Studie der Universität Kiel wurde von der Helmholtz Graduiertenschule HOSST (Helmholtz Graduate School for Ocean System Science and Technology) gefördert.Die Graduiertenschule ist eine gemeinsame Einrichtung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und über das Doktorandenprogramm auch mit der kanadischen Dalhousie Universität in Halifax verbunden. Die transatlantische Graduiertenschule setzt sich neben der wissenschaftlichen Unterstützung vor allem für die internationale Vernetzung von Doktorandinnen und Doktoranden ein.

 

Originalarbeit:
Lochte, A., Repschläger, J., Kienast, M., Garbe-Schönberg, D., Andersen, N., Hamann, C., Schneider, R.: Labrador Sea freshening at 8.5 ka BP caused by Hudson Bay Ice Saddle collapse. Nature Communications 10, Article number: 586 (2019), https://doi.org/10.1038/s41467-019-08408-6

 

Bildmaterial in höherer Auflösung:

Eisberge in der Labradorsee im August. Meeresforschende der Uni Kiel konnten hier im Rahmen einer Expedition mit der MARIA S. MERIAN (MSM45) mehr als 250 Meter Sedimentkerne gewinnen. Foto: Felix Gross/Uni Kiel

 

Kontakt:

Friederike Balzereit (Öffentlichkeitsarbeit Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“/ Kiel Marine Science KMS),0431 880-3032, fbalzereit(at)uv.uni-kiel.de
Eisberge in der Labradorsee im August. Meeresforschende der Uni Kiel konnten hier im Rahmen einer Expedition mit der MARIA S. MERIAN (MSM45) mehr als 250 Meter Sedimentkerne gewinnen. Foto: Felix Gross/Uni Kiel
Eisberge in der Labradorsee im August. Meeresforschende der Uni Kiel konnten hier im Rahmen einer Expedition mit der MARIA S. MERIAN (MSM45) mehr als 250 Meter Sedimentkerne gewinnen. Foto: Felix Gross/Uni Kiel