Mit dem Schwerelot werden mehrere meterlange Bohrkerne aus der Tiefsee an Bord der SONNE geholt. Foto: Bernd Grundmann
Mit einem Schwerelot gewinnen die Meeresforscher Sedimentkerne aus dem Meeresboden in 4000 Metern Wassertiefe. Foto: Elger Esser
Ein frisch geborgener Bohrkern wird an Bord des Forschungsschiffs METEOR weiter bearbeitet. Foto: Christian Rohleder
Der Schwarze Raucher "One Boat" im Hydrothermalfeld "Turtle Pits" am Mittelatlantischen Rücken. Foto: ROV KIEL 6000/GEOMAR
Eine planktische Foraminifere der Art Globigerinoides ruber white. Foraminiferen speichern Umweltinformationen in ihren Kalkschalen und ermöglichen so auch eine Datierung des Sediments in Bohrkernen. Foto: T. Boeschen, GEOMAR

Wie hängen Klima und geologische Prozesse am Meeresboden zusammen?

Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats für GEOMAR- und Harvard-Forschende

25.10.2022/Kiel/Boston. Unterstützt durch einen Synergy Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) beschreiten Wissenschaftler:innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Universität Harvard Neuland in der Erforschung des marinen Vulkanismus. Durch die Nutzung von Synergien zwischen Vulkanologie, Petrologie, Paläo-Ozeanographie, Geochemie und Geophysik will das Team Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und geologischen Prozessen an mittelozeanischen Rücken aufdecken.

Die Folgen des Klimawandels sind so groß, dass sie sich sogar auf den Boden der Tiefsee auswirken – doch wie genau? Mit Unterstützung eines neuen Synergy Grant, der jetzt vom Europäischen Forschungsrat (ERC) bewilligt wurde, will ein Team von Meeresforschenden des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Universität Harvard untersuchen, ob Druckveränderungen am Meeresboden, die auf Schwankungen des Meeresspiegels zwischen Eiszeiten und wärmeren Perioden zurückzuführen sind, Prozesse im Erdinneren beeinflussen, insbesondere den Vulkanismus an mittelozeanischen Rücken. Diese 60.000 Kilometer lange Kette von Vulkanen bildet sich am Meeresboden, wo Platten auseinanderdriften und neue ozeanische Kruste mit einer Geschwindigkeit von bis zu 15 Zentimetern pro Jahr entsteht. Während viel über die jüngsten Prozesse an den Ozeanrücken bekannt ist, existieren nur wenige Zeitreihen, die Veränderungen im Laufe der Zeit aufzeigen können. Weil sich Gletscherzyklen über Hunderttausende von Jahren erstrecken, sind Zeitreihen jedoch unerlässlich. Mit Hilfe eines neuartigen Probenahme-Konzepts werden im Rahmen des Synergy Grant zum ersten Mal ko-registrierte Zeitreihen von Vulkanismus, hydrothermaler Aktivität und geophysikalischen Messungen ermöglicht, die bis zu 1,5 Millionen Jahre in die Vergangenheit zurückreichen.

Für die neuen ERC-Synergy Grants wurden von 359 eingereichten Vorschlägen nur 29 für eine Finanzierung ausgewählt. Das erfolgreiche Projekt „Testing Solid Earth Climate Connections Through mid Ocean Ridge Time Series“ (Prüfung von Zusammenhängen zwischen dem Klima der festen Erde und dem Mittelozeanrücken anhand von Zeitreihen, T-SECTOR), des GEOMAR und der Universität Harvard, erhält rund 14 Millionen Euro über einen Zeitraum von sechs Jahren.

An Land kann die Bedeckung durch Gletscher den Vulkanismus unterdrücken. Schmilzt das Eis und verringert sich dadurch die Belastung der Erdkruste, kann die vulkanische Aktivität zunehmen, wie zum Beispiel in Island gezeigt. Die Auswirkungen auf das System der mittelozeanischen Rücken sind vermutlich umgekehrt: „Schmelzende Gletscher lassen den Meeresspiegel ansteigen und erhöhen die Wasserlast – also den hydrostatischen Druck – auf dem Meeresboden“, erklärt Professor Dr. Kaj Hoernle. Der Meeresgeologe am GEOMAR leitet das Projekt T-SECTOR, an dem vier Wissenschaftler:innen beteiligt sind. „Wir möchten herausfinden, ob der Druck den submarinen Vulkanismus behindert, indem wir Veränderungen in der Lava-Chemie, der hydrothermalen Aktivität – der Zirkulation heißer Flüssigkeiten durch Risse in der Kruste – und der Produktion der Meereskruste, also ihrer Dicke, untersuchen.“ Das Projekt hat auch gesellschaftlich relevante Nebeneffekte. So könnte eine verstärkte hydrothermale Aktivität während der Eiszeiten, wie etwa bei „Schwarzen Rauchern“, zu größeren Ablagerungen wichtiger Metalle am Meeresboden geführt haben, was für die künftige Suche nach Bodenschätzen von Bedeutung sein könnte.

Die vier Expert:innen planen, an drei mittelozeanischen Rücken mit unterschiedlichen Ausbreitungsgeschwindigkeiten Sedimentkerne zu entnehmen und seismische Untersuchungen durchzuführen – am mittelatlantischen Rücken, am Juan-de-Fuca-Rücken vor der US-amerikanischen Westküste und am südostpazifischen Rücken. Eruptionen an diesen Rücken werden durch vulkanisches Glas dokumentiert, das in den Sedimenten archiviert ist. Die Chemie des Glases kann Aufschluss über Schwankungen in der Zusammensetzung der Quellen, des Schmelzgrads und der Prozesse in den Magmakammern geben, während die Metallgehalte der Sedimente Informationen über Schwankungen in der hydrothermalen Aktivität liefern. Sauerstoff-Isotopen-Analysen von Foraminiferen, allgegenwärtigen einzelligen kalkbildenden Organismen am Meeresboden, helfen bei der Bestimmung von Eis- und Warmzeiten und damit des Alters der Sedimentschichten und der darin eingeschlossenen Glasfragmente.

„Anhand der in den Sedimentkernen archivierten Informationen können wir Zeitreihen der hydrothermalen Aktivität entwickeln, die wir direkt mit vergangenen Meeresspiegelveränderungen und dem Klima in Verbindung bringen. Der detaillierte Blick in die Vergangenheit war eine besondere Herausforderung, da es an geeigneten Sedimentproben vom Meeresboden mangelte. Die umfangreichen Probenahmen, die wir durchführen werden, sind bisher beispiellos. Das Verständnis der Vergangenheit wird es uns ermöglichen, zuverlässigere Vorhersagen für die Zukunft zu treffen“, betont Professor Dr. Martin Frank, Paläo-Ozeanograph am GEOMAR.

Die Entnahme von Bohrkernen während der Forschungsexpeditionen wird durch schiffsgestützte Messungen ergänzt, welche die Morphologie des Meeresbodens und die Dicke der Sedimente und der ozeanischen Kruste betrachten. „Durch die Integration von Informationen über die Mächtigkeit der Kruste mit den Ergebnissen der aus den Sedimenten abgeleiteten Zeitreihen werden wir in der Lage sein, die vulkanischen Prozesse der Vergangenheit zu rekonstruieren und zu beurteilen, ob sie durch Schwankungen des Meeresspiegels beeinflusst wurden“, erklärt Professor Dr. Heidrun Kopp, Marine Geophysikerin am GEOMAR.

Das innovative Projekt, das Synergien zwischen Vulkanologie, Petrologie, Paläo-Ozeanographie, Geochemie und Geophysik nutzt, soll neue Erkenntnisse über die vergangenen 1,5 Millionen Jahre Erdgeschichte liefern. „Eine kontinuierliche, hochauflösende Zeitreihe, die so weit zurückreicht, gibt es bisher für kein vulkanisches System“, sagt Professor Dr. Charles Langmuir, Eruptivpetrologe in der Abteilung für Erd- und Planetenwissenschaften der Universität Harvard. „Neben der Überprüfung der Hypothese des Gletscherzyklus und der Vulkane besteht das Potenzial, die vierte Dimension der Zeit zu öffnen und damit eine neue Grenze in der wissenschaftlichen Erforschung des marinen Vulkanismus zu eröffnen.“

Über den Europäischen Forschungsrat (ERC)

Der 2007 von der Europäischen Union gegründete Europäische Forschungsrat (ERC) ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er fördert kreative Forschende aller Nationalitäten und jeden Alters. Der ERC bietet vier zentrale Förderprogramme an: Starting Grants (für Wissenschaftler:innen, die erst kürzlich promoviert haben), Consolidator Grants (für Wissenschaftler:innen in der mittleren Phase ihrer Karriere), Advanced Grants (für erfahrene Wissenschaftler:innen) und Synergy Grants (für Projekte, die das Fachwissen mehrerer Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Bereichen vereinen). Der ERC wird von einem unabhängigen Leitungsgremium, dem wissenschaftlichen Rat, geleitet.

Schwerelot an Bord des Forchungsschiffs SONNE
Mit dem Schwerelot werden mehrere meterlange Bohrkerne aus der Tiefsee an Bord der SONNE geholt. Foto: Bernd Grundmann
Ausbringen eines Schwerelots
Mit einem Schwerelot gewinnen die Meeresforscher Sedimentkerne aus dem Meeresboden in 4000 Metern Wassertiefe. Foto: Elger Esser
Forschende mit Bohrkern aus der Tiefsee an Bord eines Forschungsschiffs
Ein frisch geborgener Bohrkern wird an Bord des Forschungsschiffs METEOR weiter bearbeitet. Foto: Christian Rohleder
Hydrothermalquelle am Meeresboden
Der Schwarze Raucher "One Boat" im Hydrothermalfeld "Turtle Pits" am Mittelatlantischen Rücken. Foto: ROV KIEL 6000/GEOMAR
Foraminifere
Eine planktische Foraminifere der Art Globigerinoides ruber white. Foraminiferen speichern Umweltinformationen in ihren Kalkschalen und ermöglichen so auch eine Datierung des Sediments in Bohrkernen. Foto: T. Boeschen, GEOMAR