Das 1,5-Grad-Ziel? „Scheint unerreichbar“

Prof. Dr. Mojib Latif im Interview zum Stand der Klimaforschung und zur aktuellen Klimaentwicklung

Der Sommer 2018 war extrem heiß und lang. Wie eindeutig sind solche Ereignisse dem vom Menschen verursachten Klimawandel zuzuordnen?

Der Trend ist klar. In Deutschland werden Temperaturen seit 1881 systematisch gemessen und man sieht ganz eindeutig, dass sie gestiegen sind. Die Anzahl der Sommertage mit mindestens 25 Grad hat sich erhöht wie auch die der Hitzetage mit Temperaturen von 30 Grad und darüber. 2018 ist in dieser Entwicklung aber noch mal ein deutlicher Ausreißer nach oben. Gleichzeitig hat die Zahl der Frosttage abgenommen.

 

Das Klima hat sich während der gesamten Erdgeschichte verändert. Was unterscheidet den aktuellen Anstieg der globalen Temperaturen von früheren Klimaänderungen?

Natürlich gab es früher Kalt- und Warmzeiten. Aber die Ursachen waren andere, zum Beispiel Schwankungen der Erdbahn um die Sonne. Die aktuelle Erwärmung ist klar auf den Anstieg der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre zurückzuführen. Außerdem ist die Geschwindigkeit der Veränderungen anders. Was wir jetzt sehen ist im Vergleich zu früher rasend schnell. Der Unterschied zwischen einer Eiszeit und einer Warmzeit beträgt etwa fünf Grad im weltweiten Durchschnitt. Die Übergänge dauerten Jahrzehntausende. Aktuell sprechen wir über die gleiche Änderung innerhalb von nur einem oder zwei Jahrhunderten. Der Gehalt an Kohlendioxid (CO2)  in der Luft ist jetzt schon weit außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite der vergangenen 800.000 Jahre.

 

Wie zuverlässig sind die Computermodelle, mit denen das Klima und seine Veränderungen berechnet werden?

Erste Berechnungen haben amerikanische Kollegen schon Ende der 1970er-, Anfang der 1980er Jahre durchgeführt. Wenn man die damaligen Ergebnisse mit der realen Entwicklung der letzten Jahrzehnte vergleicht, dann ist global betrachtet tatsächlich das eingetreten, was die ersten Modelle gesagt haben. Mit zunehmender Rechenleistung sind diese immer besser geworden, die Grundaussage hat sich jedoch nicht verändert. Natürlich bleiben Unsicherheiten. Die werden gern als Argument genommen, um die Ergebnisse zu verharmlosen. Unsicherheit bedeutet aber auch: Die Entwicklung könnte noch drastischer sein. Ein Beispiel ist der Verlust von Meereis im Arktischen Ozean. Er ist noch schneller, als es die Modelle vorher prognostiziert hatten.

 

Was sind die aktuellen Themen, wo liegen derzeit die großen Herausforderungen der Klimaforschung?

In den Maßen, wie die Computer leistungsfähiger werden, kann man immer mehr Komponenten wie chemische und biologische Prozesse berücksichtigen. Die Entwicklung geht also von der Klima- zur Erdsystemforschung. Das sieht man auch hier am GEOMAR. Die verschiedenen Forschungsbereiche arbeiten immer enger zusammen, um die Rolle des Ozeans im Klimawandel detaillierter zu verstehen. Darüber hinaus versuchen wir in unseren Modellen die Wetterextreme noch besser zu erfassen. Ein gutes Beispiel ist hier die Entwicklung von Hurrikanen. Die Erwärmung fördert ihre Entstehung, gleichzeitig ändert sich die Windverteilung mit der Höhe, was Hurrikane dämpft. Da können wir in Zukunft mit leistungsfähigeren Rechnern zu belastbareren Aussagen bekommen.

Ein zweiter Punkt sind Kurzfristvorhersagen. Es ist nicht nur wichtig zu wissen, wie das Klima in hundert Jahren sein wird, sondern auch in zehn oder zwanzig Jahren. Gerade bei diesen dekadischen Zeiträumen spielt der Ozean eine wichtige Rolle. Diese kurzfristigen Veränderungen wollen wir besser verstehen und vorhersagen.

Damit hängt noch ein dritter Punkt zusammen, und zwar die räumliche Auflösung. Es gibt regional erhebliche Unterschiede vom globalen Mittel. Wieder ein Beispiel: Im Westpazifik ist der Meeresspiegel in den vergangenen Jahrzehnten deutlich stärker gestiegen als im Ostpazifik. Das hat auch mit Änderungen der Passatwinde zu tun. Die Frage lautet: Ist das eine natürlicher Schwankung oder schon Teil der Antwort auf erhöhte Treibhausgaskonzentrationen? Wir sind also dabei, das Zusammenwirken der verschiedenen Komponenten im Erdsystem – Ozean, Atmosphäre, Eis, Land, Biologie, Chemie – immer detaillierter zu verstehen. Doch schon jetzt ist klar: Der Ozean ist zu warm, zu hoch, zu sauer. Und neuerdings wissen wir auch: zu sauerstoffarm.

 

Der Sonderbericht des Weltklimarat IPCC empfiehlt ­Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad. Wie stehen die Chancen?

Aktuell sind wir bereits bei etwa einem Grad Erderwärmung angekommen. Diese Angaben meinen immer die global gemittelte Erdoberflächentemperatur und beziehen sich auf ein vorindustrielles Niveau, also ungefähr auf die Zeit um 1850. Wenn man bedenkt, dass wir die Weltwirtschaft innerhalb der nächsten Jahrzehnte komplett umbauen müssten, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen, scheint das fast unerreichbar zu sein. Und der Trend weist gegenwärtig leider in die andere Richtung. Seit Beginn der 1990er Jahre ist der weltweite CO2-Ausstoß um über 60 Prozent gestiegen. 2018 hat der Ausstoß nach vorläufigen Berechnungen der Internationalen Energieagentur erneut einen Höchststand erreicht. Dabei muss man beachten, dass CO2 eine Verweildauer von ungefähr 100 Jahren in der Atmosphäre hat. Alleine die USA haben ein Viertel des CO2 in die Luft geblasen, das wir heute dort messen, die alten Industrienationen Europas ein weiteres Viertel. Auf die lange Zeit gerechnet ist der Anteil der neuen Industrienationen wie China oder Indien noch gering. Und auch heute emittiert jeder Deutsche im Durchschnitt zehn Tonnen CO2 pro Jahr, ein US-Amerikaner 17 Tonnen, ein Inder im Durchschnitt nur zwei Tonnen. Wir tragen also eine große Verantwortung für diese Entwicklung.

Das Interview führte Jan Steffen

 

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