Meereis im Ostgrönlandstrom. Foto: J. Grosse, GEOMAR.
Partikelaggregate beherbergen reiche mikrobielle Gemeinschaften, wie hier durch konfokale Laserscanning-Mikroskopie gezeigt. Blau: Polysaccharidgelmatrix des Aggregats, grün: Bakterien, rosa/rot: Algenzellen. Foto: Kathrin Busch
Dr. Julia Grosse. Foto: privat

Leben unter dem Eis in der Polarnacht

Was machen Kleinstlebewesen unter dem arktischen Meereis?

27.11.2019/Kiel. Wie funktioniert das marine Ökosystem unter Extrembedingungen? Wie wird es sich durch die globale Erwärmung verändern? Im Rahmen der vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung organisierten MOSAiC-Kampagne, bei der das deutsche Forschungsschiff POLARSTERN über ein Jahr durch das Nordpolarmeer driftet, sollen Untersuchungen an Kleinstlebewesen durchgeführt werden, die unterhalb des arktischen Meereseises leben. Die Forschungsarbeiten unter Beteiligung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel finden während der Polarnacht von Dezember bis Februar statt.

Wie verändern sich langfristig die Produktion und der Abbau von organischer Materie im Meer, insbesondere in polaren Regionen, die für die Aufnahme und Freisetzung von Kohlendioxid (CO2) besonders kritisch sind? An dieser Thematik arbeitet seit über 10 Jahren die Arbeitsgruppe von Prof. Anja Engel (GEOMAR) gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen des Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) im Rahmen von PEBCAO (Plankton Ecology and Biogeochemistry in a Changing Arctic Ocean). Allerdings waren bisher nur Messungen zwischen Frühsommer und Herbst und meist in subpolaren Gebieten wie der Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen möglich. Im Rahmen der vom AWI koordinierten MOSAiC-Kampagne soll sich dies nun ändern. In einem Team internationaler Wissenschaftler werden Wissenschaftler des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel nun erstmals Messungen unter dem Meereis in der winterlichen Arktis durchgeführt.

„Wir wollen Wasserproben unterhalb des Meereises gewinnen und diese dann komplexen Analysen unterziehen“, erläutert Dr. Julia Grosse vom GEOMAR, die die Messungen an Bord durchführen wird. „Im Fokus unserer Arbeiten stehen Bakterien und Phytoplankton, und deren Einfluss auf die Konzentration verschiedener, organischer Kohlenstoffkomponenten“, so Grosse weiter. Schon die Gewinnung der Proben wird eine Herausforderung. „Wir hoffen, mit Wasserschöpfern und mit Planktonnetzen von der mittlerweile im Eis eingefrorenen Polarstern aus arbeiten zu können. Es kommt aber darauf an, ob wir ein Loch im Eis offen halten können. Sonst müssen wir auf Probennahme durch ins Eis gebohrte Löcher ausweichen.“ Dr. Grosse ist aber zuversichtlich. Sie hat sich mit einem speziellen Training, dass im vergangenen Winter in Finnland stattfand, auf die schwierigen Rahmenbedingungen vorbereitet. Kälte, Polarnacht und Eisbären sind einige der Risiken für die Forschenden. Dazu kommt die langwierige Anreise. Knapp drei Wochen wird die Fahrt mit dem russischen Forschungseisbrecher KAPITAN DRANITSYN dauern, ehe Mitte Dezember die Messkampagne auf der im Eis driftenden Polarstern beginnt. Mitte Februar beginnt die ebenso lange Rückreise aus dem arktischen Ozean.

Die GEOMAR-Wissenschaftlerin hofft dann auch ein Teil des Probenmaterial wieder zurück nach Kiel bringen zu können, denn nicht alle Untersuchungen können vor Ort auf der POLARSTERN erledigt werden. „Es ist eine einmalige Gelegenheit an solche Daten zu kommen“, so Dr. Grosse. Dafür nehme sie gerne die lange Reise und die schwierigen Randbedingungen in Kauf. „Das ist eine ‚once-in-your-lifetime‘-Chance, da habe ich auch nicht lange überlegt“, so die 36-jährige Biologin.

Finanziert wird die Teilnahme durch das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte und vom GEOMAR koordinierte Projekt MICRO-ARC, in dem untersucht wird, wie sich kurzfristige (z. B. saisonale) Veränderungen in der physikalischen Umwelt (z.B. Änderungen in Wärmeflüssen, Vermischungstiefen, solarer Einstrahlung und in den Einträgen von Nährstoffen) des arktischen Ozeans auf pelagische mikrobielle Ökosysteme auswirken und welchen Einfluss diese ökologischen Veränderungen auf die gegenwärtige und zukünftige Biogeochemie des organischen Materials nehmen.

Hintergrundinformation MOSAiC:

Die MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Eine internationale Flotte von 4 Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen versorgt das Team auf dieser extremen Route. Insgesamt 600 internationale Teilnehmer, davon die Hälfte Wissenschaftler, werden die Mission begleiten.

Das Budget der Expedition beträgt rund 140 Millionen Euro. Im Laufe des Jahres werden ca. 300 Wissenschaftler aus 17 Ländern an Bord sein. Sie kommen aus Belgien, China, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Spanien und den USA. Dabei werden sie landseitig auch von Wissenschaftlern aus Österreich und Südkorea unterstützt. Die Fragen, denen die Forscher während der Expedition nachgehen wollen, sind eng miteinander verknüpft. Zusammen wollen sie zum ersten Mal das gesamte Klimasystem in der Zentralarktis erforschen. Sie erheben Daten in den fünf Teilbereichen Atmosphäre, Meereis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie, um die Wechselwirkungen zu verstehen, die das arktische Klima und das Leben im Nordpolarmeer prägen. 

Neuigkeiten direkt aus der Arktis gibt es über die MOSAiC-Kanäle auf Twitter (@MOSAiCArctic) und Instagram (@mosaic_expedition) über die Hashtags #MOSAiCexpedition, #Arctic und #icedrift. Weitere Informationen zur Expedition auf: www.mosaic-expedition.org. In der MOSAiC-Web-App kann die Driftroute der Polarstern zudem live mitverfolgt werden: follow.mosaic-expedition.org

 

Meereis im Ostgrönlandstrom. Foto: J. Grosse, GEOMAR.
Meereis im Ostgrönlandstrom. Foto: J. Grosse, GEOMAR.
Partikelaggregate beherbergen reiche mikrobielle Gemeinschaften, wie hier durch konfokale Laserscanning-Mikroskopie gezeigt. Blau: Polysaccharidgelmatrix des Aggregats, grün: Bakterien, rosa/rot: Algenzellen. Foto: Kathrin Busch
Partikelaggregate beherbergen reiche mikrobielle Gemeinschaften, wie hier durch konfokale Laserscanning-Mikroskopie gezeigt. Blau: Polysaccharidgelmatrix des Aggregats, grün: Bakterien, rosa/rot: Algenzellen. Foto: Kathrin Busch
Dr. Julia Grosse. Foto: privat
Dr. Julia Grosse. Foto: privat