Der globale Ozean – Wächter der Erderwärmung

Petersen Exzellenz-Professur 32 | Dr. Karina von Schuckmann


Der globale Ozean ist unser sensibelster und verlässlichster Wächter des Klimawandels. Indem er den Großteil der überschüssigen Wärme speichert, die durch Treibhausgase in der Atmosphäre eingeschlossen wird, liefert er eindeutige und messbare Hinweise darauf, dass die Erde aus dem Energiegleichgewicht geraten ist. Die Erwärmung der Ozeane ist ein zentraler Indikator für den fortschreitenden Wandel unseres Planeten – sie zeigt nicht nur die Auswirkungen durch vergangene und aktuelle Emissionen, sondern auch das Ausmaß kommender Veränderungen. Dieses Verständnis und die kontinuierliche Beobachtung sind entscheidend, um wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen, politische Maßnahmen zu gestalten und klimaresistente sowie nachhaltige Entwicklungswege für kommende Generationen zu ermöglichen.

Die Energiebilanz der Erde ist grundlegend dafür, die Lebensbedingungen auf unserem Planeten langfristig zu sichern. Dieses Gleichgewicht wird durch die wesentlichen Energieflüsse bestimmt, die in das Erdsystem hinein- und herausfließen. In einem stabilen Klima gleicht die Menge der einfallenden Sonnenenergie im Jahres- und längerfristigen Mittel genau die Menge der Energie aus, die das Klimasystem wieder verlässt. Dieser natürliche Rhythmus versetzt das Klimasystem der Erde in einen Zustand quasi-stabiler Balance, in der Wärme zwischen Atmosphäre, Ozean, Land, Kryosphäre – den gefrorenen Teilen der Erde – und Biosphäre ausgeglichen wird. Der Wärmeaustausch in Form von Energie bestimmt lokale und entfernte Wetter- und Klimamuster, treibt Temperaturschwankungen von Jahreszeiten bis zu mehreren Jahren an und schafft die Bedingungen, die das Leben auf der Erde ermöglichen. Natürliche Prozesse können diesen Rhythmus stören, etwa langzeitliche astronomische Schwankungen (Milanković-Zyklen), Vulkanausbrüche, die die Erde für einige Jahre in ein negatives Energieungleichgewicht bringen, oder Klimaschwankungen wie die El Niño-Southern Oscillation (ENSO), die das Gleichgewicht auf interannuelle Zeiträume beeinflussen. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass diese natürlichen Schwankungen meist relativ gering sind und das Erdsystem nach wenigen Jahren wieder zu einem stabilen Gleichgewicht zurückkehrt.
 

Was aber geschieht, wenn eine dauerhafte Störung von außen diesen natürlichen Rhythmus kontinuierlich beeinträchtigt?
Eine solche beständige Störung gibt es heute: die durch Menschen verursachten Treibhausgasemissionen. Globale Klimamessungen und Klimamodelle weisen darauf hin, dass die Erde aus dem Energiegleichgewicht geraten ist. Die Menge der einfallenden Sonnenstrahlung ist nicht länger im Gleichgewicht mit der Menge an Energie, die das Erdsystem verlässt. Die in das Klimasystem eingebrachten Treibhausgase verringern die Menge an Energie, die normalerweise zur Balance beitragen würde. Folglich führt die Tatsache, dass weniger Energie das Klimasystem verlässt als empfangen wird, zu einem positiven Ungleichgewicht an der sogenannten Oberkante der Atmosphäre. In der Folge sammelt sich überschüssige Wärme im Klimasystem der Erde an, was zu einer allmählichen Erwärmung des Planeten führt.
 

Was passiert mit der angesammelten überschüssigen Wärme im Klimasystem?
Diese überschüssige Wärme wird von verschiedenen Komponenten des Erdsystems aufgenommen – der Atmosphäre, den Kontinenten, dem Ozean und der Kryosphäre. Die Wärmeaufnahme ist nicht gleichmäßig verteilt, sondern abhängig von den spezifischen Eigenschaften jeder Komponente, Wärme zu absorbieren und zu speichern, sowie von ihrer relativen Größe. So ist beispielsweise die Wärmekapazität von Wasser deutlich höher als die von Luft. Zudem ist der Ozean die größte Komponente des Erdsystems — er bedeckt 71 % der Erdoberfläche und erreicht in einigen Regionen Tiefen von über 6000 m. Es überrascht daher nicht, dass der Ozean den größten Teil dieser überschüssigen Wärme absorbiert – aktuelle Schätzungen gehen von etwa 90 % aus. Der Rest wird von den Kontinenten (ca. 5 %), der Kryosphäre (ca. 4 %) und der Atmosphäre (ca. 1 %) aufgenommen. Mit dieser Wärmeaufnahme erwärmen sich alle Komponenten des Erdsystems: Die Atmosphäre wird wärmer, was zu häufigeren und intensiveren Extremwetterereignissen und einer Zunahme von Wasserdampf führt. Die Kontinente erwärmen sich, was zu gesteigerter Überschwemmung und Erosion, Bodenabsenkung und Abnahme der Bodenfeuchtigkeit führt. Die Kryosphäre erwärmt sich, was zum Auftauen von Permafrost, Abbau von Eisschilden, Gletschern, Meereis und Schneebedeckung führt – und zu zusätzlichen Emissionen von CO₂ und CH₄. Der Ozean erwärmt sich, wodurch seine Fähigkeit, CO₂ aufzunehmen, reduziert wird, extreme Ozeanereignisse zunehmen und der Meeresspiegel steigt. Diese Veränderungen wirken sich wiederum auf Ökosysteme aus, indem sie die Phänologie, die Artenverteilung und die Struktur der Ökosysteme verändern – mit erheblichen Folgen für zentrale Lebensbereiche wie Ernährung, Siedlungen, Infrastruktur, Gesundheit und Wohlbefinden, Infrastrukturen sowie Gesundheit und Lebensqualität.

Der Ozean absorbiert folglich den größten Teil der durch menschliche Emissionen freigesetzten überschüssigen Wärme. Mit anderen Worten: Die Erwärmung des Ozeans ist ein klarer Beleg dafür, dass die Erde sich in einem Energieungleichgewicht befindet. Wenn Wärme vom Ozean aufgenommen wird, erfolgt eine horizontale und vertikale Verteilung über verschiedene Schichten und Ozeanbecken, mit Zeiträumen der Umverteilung von saisonalen Zeitskalen bis zu Jahrhunderten oder länger. Wo die Wärme gespeichert wird – im oberen Ozean, im tiefen Ozean oder entlang von Strömungen und Wirbeln – bestimmt, wie schnell das Klimasystem reagiert, wie lange die Erwärmung anhält und wie sie regionale und globale Klimamuster beeinflusst. Wesentlich ist dabei: Wärme, die im tiefen Ozean gebunden ist, macht eine langfristige Erwärmung der Erde unausweichlich — über Jahrhunderte bis in das Jahrtausend hinein. Die künftige Ozeanerwärmung ist somit bereits durch vergangene und gegenwärtige CO₂-Emissionen festgelegt über diesen langen Zeitraum. Die Irreversibilität der Ozeanerwärmung auf Jahrhundertzeitskalen unterstreicht die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen, die Treibhausgasemissionen reduzieren, Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel voran zu treiben, und weitreichende Folgen der globale Erwärmung zu bewältigen.


Wie analysieren wir die Erwärmung des Ozeans?
Die Analyse der Ozeanerwärmung stützt sich auf eine Vielfalt historischer und moderner Beobachtungssysteme, die sich im Laufe der Zeit erheblich weiterentwickelt haben. Diese Systeme lassen sich in drei Schlüsselperioden unterteilen. In der ersten Phase beruhen Daten hauptsächlich auf historischen in situ-Temperaturmessungen von Schiffen, die bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückreichen. Doch diese Daten sind räumlich und zeitlich verzerrt, insbesondere zugunsten der Nordhalbkugel, der Küstengebiete und der Sommermonate. Erst ab den 1960er bis 1970er Jahren begann eine großflächigere Erfassung der oberen 300 bis 700 Meter des Ozeans, begleitet von erheblichen Lücken und instrumentellen Unsicherheiten. Die zweite Phase begann in den frühen 1990er Jahren mit dem Einsatz satellitärer Altimetrie: Diese Ära vereinte Fernerkundung, moderne Schiffsmessungen, Bojenstationen und autonome in situ-Plattformen, ergänzt durch Ozean-Reanalyse-Systeme, die in situ- und Satellitendaten in numerische Modelle integrieren, und statistische räumlich aufgelöste Datensätze. Die dritte und aktuelle Phase — oft als „goldenes Zeitalter“ der Ozeantemperaturbeobachtung bezeichnet — ist durch nahezu globale Abdeckung der oberen 2000 Meter des Ozeans gekennzeichnet, vor allem dank des Argo-Programms mit autonomen Messbojen. Diese Ära liefert zudem entscheidende Informationen zur Begrenzung von Energiebilanz und Meeresspiegelbudgets und ermöglicht präzisere Abschätzungen der Ozeanerwärmung und ihres Beitrags zum globalen Klimawandel.

Die Beobachtungsdaten zeigen, dass die Erwärmung des Ozeans seit mindestens den 1950er Jahren beispiellos ist — das Jahrzehnt 2012–2024 stellt die wärmste Periode dar. Diese Erwärmung beschränkt sich nicht auf die Oberfläche, sondern erstreckt sich durch das gesamte Wasservolumen – von der gemischten Schicht bis in hohe Tiefen, wobei jede Schicht unterschiedlich auf Zeitmaßstäben reagiert. Die oberen 2.000 Meter des globalen Ozeans haben zwischen 1958 und 2019 rund 351 ± 59,8 ZJ (1 ZJ = 10²¹ J) Wärme aufgenommen, und die Rate der Erwärmung hat sich seit den 2010er Jahren nahezu verdoppelt. Seit den 1960er Jahren erwärmt sich der Ozean mit einer beschleunigten Rate von etwa 0,15 ± 0,05 W/m² pro Jahrzehnt. Regional verzeichnen der Atlantik und die Südlichen Ozeane die stärksten durchschnittlichen Wärmegewinne in den oberen 2000 Metern, während Projektionen vorsehen, dass der Pazifik zum größten absoluten Wärmespeicher wird – bedingt durch sein Volumen. Diese Wärmeakkumulation verändert bereits Struktur und Zirkulation des Ozeans und trägt zu Meeresspiegelanstieg und ökosystematischen Störungen bei. Für die Zukunft sind die Ozeanerwärmungen, die aus vergangenen CO₂-Emissionen resultieren, unumkehrlich: Es wird erwartet, dass die Wärmeaufnahme der oberen 2000 Meter bis 2100 um das 2- bis 4-Fache (im Niedrig‑Emissionsszenario SSP1‑2.6) bzw. 4‑ bis 8-Fache (im Hoch‑Emissionsszenario SSP5‑8.5) im Vergleich zur Periode 1971–2018 steigen wird. DIese starken beobachtenten and projezierten Änderungen unterstreichen die Notwendigkeit langfristig angelegter, qualitativ hochwertiger Beobachtungssysteme und verbesserter Klimamodelle, um die wachsenden Folgen der Ozeanerwärmung für Ökosysteme und menschliche Gesellschaften genauer zu quantifizieren und zu bewältigen.

Beeindruckend ist, wie der Ozean die Hauptkreisläufe der Erde – Energie, Wasser und Kohlenstoff – miteinander verbindet und wie die Erwärmung der Ozeane diese komplexen Systeme beeinflusst.  Die Ozeanerwärmung beeinflusst den Wasserkreislauf und wirkt sich auf die globalen Niederschlagsmuster aus. Im Rahmen der Reaktion des Wasserkreislaufs verstärken sich die Muster der Oberflächensalinität – salzhaltige Regionen werden salziger, salzarme Regionen frischer. Diese Veränderungen von Temperatur und Salzgehalt verändern die Dichte und Zirkulation des Ozeans, die steuern, wie Wärme aufgenommen und im Ozean verteilt wird. Gleichzeitig beeinflusst die Erwärmung den Kohlenstoffkreislauf, indem sie die Aufnahme und den Transport von anthropogenem CO₂ verändert. Eine stärkere Schichtung und die verminderte Aufnahmefähigkeit wärmerer Gewässer schwächen die Rolle des Ozeans als Kohlenstoffsenke und tragen so zu einer Rückkopplung bei, die die Erwärmung weiter beschleunigt. Darüber hinaus wirkt sich die Ozeanerwärmung auf marine Ökosysteme und biologische Prozesse aus, die für die Speicherung von Kohlenstoff im Ozean zentral sind. Wie oben erwähnt, beeinflusst die Ozeanerwärmung auch den Energiekreislauf. Durch diese miteinander verbundenen Prozesse wirkt die Ozeanerwärmung direkt auf die Fähigkeit der Erde ein, das Klima zu regulieren – und unterstreicht damit die fundamentale Rolle des Ozeans für das Leben auf unserem Planeten.

 

Fazit
Angesichts des Ausmaßes und der Geschwindigkeit der Ozeanerwärmung sowie des Ungleichgewichts der Erdenergiebilanz – und deren weitreichenden Auswirkungen auf Klima, Ökosysteme und der Gesellschaft – wird es immer dringlicher, wissenschaftliches Wissen in fundierte und rechtzeitige Maßnahmen umzusetzen. Während der Ozean weiterhin Wärme aufnimmt, seine Zirkulationsmuster verändert und seine lebenswichtigen Funktionen beeinträchtigt, geraten die von ihm bereitgestellten Leistungen – von der Klimaregulierung und Nahrungsmittelversorgung bis hin zum Küstenschutz und der Kohlenstoffspeicherung – zunehmend unter Druck. Diese Veränderungen bergen erhebliche sozioökonomische Risiken, insbesondere für verletzliche Küstenregionen und ozeanabhängige Sektoren. Vor diesem Hintergrund ist die Kombination aus hochwertigen Beobachtungsdaten und modernstem wissenschaftlichem Wissen unerlässlich, um Entscheidungen zu treffen, die eine klimastabile Entwicklung, effektive Anpassung und langfristigen Schutz der Ozeane ermöglichen. Dies erfordert nicht nur eine kontinuierliche Überwachung der Meere, sondern auch verlässliche und zugängliche Wissenstandberichte, die den sich wandelnden Zustand des Ozeans regelmäßig bewerten und kommunizieren können. Nur durch verlässliche und zugängliche Informationen können Entscheidungsträger, Institutionen und Gemeinschaften die Ozeane schützen, klimastabile Entwicklung ermöglichen und eine nachhaltige Zukunft gestalten.

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