Mit dem Schwerelot werden mehrere Meter lange Sedimentkerne vom Meeresboden gewonnen. Foto: Robert Spielhagen, GEOMAR
Forschende bringen ein Kastenlot aus, um Sediment-Proben vom Boden des Arktischen Ozeans zu gewinnen. Foto: Robert Spielhagen, GEOMAR
Eine Probe aus dem Kastenlot liegt im Labor an Bord eines Forschungsschiffs für weitere Untersuchungen bereit. Foto: Robert Spielhagen, GEOMAR

Lässt sich die Zukunft des Golfstrom-Systems aus dem Sediment ablesen?

Bohrkern-Analysen deuten auf eine Instabilität des ozeanischen Wärmetransports hin

10.11.2022/Kiel. Wie reagiert das für unser Klima verantwortliche weltumspannende System an Meeresströmungen auf die globale Erwärmung? Ein internationales Team von Forschenden hat anhand von Sedimentbohrkernen weit in die Vergangenheit zurückgeschaut, um zukünftige Veränderungen besser abschätzen zu können. In einer im Fachmagazin Nature Geoscience erschienenen Studie untermauern sie die These, dass ein verstärkter Süßwassereintrag und zunehmende Niederschläge im Zuge steigender Temperaturen den Antrieb des Strömungssystems stören können.

Das Klima in Mittel- und Nordeuropa wird entscheidend durch ein globales System von Meeresströmungen bestimmt. Über den Golfstrom werden große Mengen von Wärme aus den Tropen bis in die Arktis transportiert, was unter anderem Deutschland ein vergleichsweises mildes Winterwetter beschert. Angetrieben wird dieses System in hohen nördlichen Breiten, wo sich salzreiches Wasser stark abkühlt und in die Tiefen der Ozeanbecken absinkt – die Wissenschaft spricht von „Tiefenwasserbildung“, um dort in Richtung Äquator zurückzufließen. Doch wie stabil bleibt dieser Wärmetransport, wenn sich die Polargebiete erwärmen? Welchen Einfluss haben etwa der verstärkte Süßwassereintrag durch Gletscherschmelze und zunehmende Niederschläge? Eine internationale Gruppe von Forschenden hat vergangene Veränderungen in dem Strömungssystem anhand von Bohrkernen genauer analysiert, um dessen zukünftige Empfindlichkeit besser abzuschätzen.

„Das Ausmaß, in dem die Ozeanzirkulation durch den Klimawandel beeinflusst werden kann, ist für die Gesellschaft von zentraler Bedeutung, insbesondere angesichts der derzeitigen globalen Erwärmung“, sagt Dr. Christina Larkin, Erst-Autorin der kürzlich im Fachmagazin Nature Geoscience publizierten Studie. Sie war zum Zeitpunkt der Untersuchung Doktorandin im Fachbereich Geowissenschaften der Universität Cambridge und forscht jetzt an der Universität Southampton.

Um Veränderungen in der Übergangsphase zwischen der letzten Eiszeit und der heutigen Warmzeit neu zu evaluieren, bestimmten die Forschenden das Verhältnis bestimmter Isotope des Elements Neodymium in hunderten Proben aus Sedimentkernen aus dem Arktischen Ozean und dem südlich angrenzenden Europäischen Nordmeer. Die Kerne stammen unter anderem aus Archiven des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Anhand der analysierten Proben lässt sich die Ausbreitung des Tiefenwassers in der Arktis in noch nie dagewesener Detailgenauigkeit verfolgen.

Für den Höhepunkt der letzten Eiszeit, etwa 23.000 bis 18.000 Jahre vor heute, lassen die Auswertungen auf einen Wasseraustausch zwischen den beiden untersuchten Meeresgebieten schließen – das Strömungssystem funktionierte. „Unsere Datensätze zeigen, dass es trotz der deutlich niedrigeren Temperaturen an der Wasseroberfläche offenbar auch während des eiszeitlichen Maximums ein funktionierendes Golfstromsystem im Europäischen Nordmeer gab – wenn auch mit gewissen Unterschieden sowohl in der lateralen als auch der vertikalen Ausdehnung zu heute“, sagt Dr. Henning Bauch. Der Meeresgeologe am AWI und GEOMAR ist Mitinitiator und Ko-Autor der Studie.

Im Übergang von der Eiszeit zur Warmzeit änderten sich jedoch die Bedingungen spürbar, erkennbar an sehr variablen Neodymium-Isotopenwerten in den analysierten Proben. „Hier hat der Süßwassereintrag von den abschmelzenden Eisschilden, zum Beispiel auf Skandinavien und Spitzbergen, sicher eine große Rolle gespielt und zu einer Verringerung der Tiefenwasserbildung und dessen Antriebswirkung geführt“, erklärt Dr. Robert Spielhagen, Paläoozeanograph am GEOMAR und ebenfalls Mit-Autor der Studie. „Ähnliche Reaktionen müssen wir erwarten, wenn die Eisschmelze auf Grönland im Zuge des Klimawandels weiter voranschreitet. Sie könnten sogar eine Verringerung des ozeanischen Wärmetransport nach Europa bewirken.“

Die Studie untermauert einmal mehr die besondere Bedeutung der nördlichen Polargebiete für das globale Klima. Gerade weil diese Regionen gleichzeitig besonders empfindlich auf die menschgemachte globale Erwärmung reagieren, sind sie wichtige Schlüsselgebiete für die weltweite Klimaforschung. Der Blick in die Vergangenheit kann dabei helfen, zukünftige Veränderungen besser einzuschätzen und Modellsimulationen zu überprüfen.

Publikation:

Larkin, C.S., Ezat, M.M., Roberts, N.L., Bauch, H.A., Spielhagen, R.F., Noormets, R., Polyak, L., Moreton, S., Rasmussen, T.L., Sarnthein, M., Tipper, E.T., Piotrowski, A.M., 2022. Active Nordic Seas deep-water formation during the last glacial maximum. Nature Geoscience, https://doi.org/10.1038/s41561-022-01050-w

Pressemitteilung der Universität Cambridge (englisch): "Scientists map deep waters in the Nordic Seas, showing ocean circulation during and after last ice age"

 

Ausbringen eines Schwerelots
Mit dem Schwerelot werden mehrere Meter lange Sedimentkerne vom Meeresboden gewonnen. Foto: Robert Spielhagen, GEOMAR
Ausbringen eines Kastenlots im Arktischen Ozean.
Forschende bringen ein Kastenlot aus, um Sediment-Proben vom Boden des Arktischen Ozeans zu gewinnen. Foto: Robert Spielhagen, GEOMAR
Probe aus dem Kastenlot an Bord eines Forschungsschiffs
Eine Probe aus dem Kastenlot liegt im Labor an Bord eines Forschungsschiffs für weitere Untersuchungen bereit. Foto: Robert Spielhagen, GEOMAR