Das Südpolarmeer ist trotz des limitierten Eisenangebots eines der produktivsten aquatischen Ökosysteme und beherbergt die größten Populationen von Algenkonsumenten. Foto: Martin Visbeck/GEOMAR

Phytoplanktonblüte im Südpolarmeer, vom All aus gesehen: Verschiedene Arten und Mengen von Phytoplankton weisen unterschiedliche Blau- und Grüntöne auf. Foto: ESA, CC B Y-SA 3.0 IGO

Ein wichtiger Bestandteil des Phytoplanktons: Kieselalgen oder Diatomeen. Foto: Oliver Skibbe

Kieselalgen können während der Phytoplanktonblüte dichte Matten im Südpolarmeer ausbilden. Foto: University of Hawaii/E. Goetze

Mit der Protonenpumpe zu mehr Wachstum

Mechanismus zur Anpassung an den Klimawandel in Mikroalgen entdeckt

16.10.2023/Kiel/Norwich/Würzburg. Mikroalgen, einer der Grundbausteine des Lebens im Meer, kompensieren Nährstoffmangel mithilfe einer lichtgetriebenen Protonenpumpe, womit sie sich auch an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen können. Diesen Mechanismus haben Forschende des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und des Fachbereichs für Umweltwissenschaften an der Universität von East Anglia (UEA) entdeckt. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen sie heute in der Zeitschrift Nature Microbiology. Die Entdeckung öffnet den Weg für biotechnologische Entwicklungen, die den negativen Auswirkungen veränderter Umweltbedingungen wie der Erwärmung der Ozeane und sogar der sinkenden Produktivität von Nutzpflanzen entgegenwirken könnten.

Gemeinsame Pressemeldung der Universität Würzburg und des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel

Ein internationales Forschungsteam vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, der School of Environmental Sciences (Fachbereich für Umweltwissenschaften) an der Universität von East Anglia (UEA), Großbritannien, und dem Physiologischen Institut der Universität Würzburg hat herausgefunden, wie Kieselalgen Nährstoffmangel kompensieren. Ihre Entdeckung könnte dazu beitragen, negativen Auswirkungen des Klimawandels entgegenzuwirken. Die Studie erscheint heute in der Zeitschrift Nature Microbiology.

Erstautoren sind Thomas Mock, Professor für Marine Mikrobiologie an der UEA, und sein ehemaliger Doktorand Jan Strauss, der die Arbeit nach seiner Promotion als Postdoktorand am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Hamburg und im Labor von Professor Dr. Alexandra Z. Worden, Gründerin der Forschungseinheit Ökosystembiologie des Ozeans am GEOMAR und Fellow des Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, weitergeführt hat. An der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) waren Professor Dr. Georg Nagel und Dr. Shiqiang Gao aus der Abteilung für Neurophysiologie des Physiologischen Instituts daran beteiligt.

Das Team untersuchte das so genannte eukaryotische Phytoplankton, pflanzliche Organismen, die auch als Mikroalgen bezeichnet werden und die in weiten Teilen des Ozeans vorkommen. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Algen einen Mechanismus entwickelt haben, um mit dem zu erwartenden Nährstoffmangel aufgrund steigender Wassertemperaturen umzugehen. Das sind gute Nachrichten für die Nahrungskette – denn marine Mikroalgen bilden die Basis des größten Nahrungsnetzes der Erde, zu dem auch Krill, Fische, Pinguine und Wale gehören – und sie entziehen der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) und produzieren Sauerstoff.

„Damit Algen Nahrung produzieren und CO2 aus der Atmosphäre entfernen können, brauchen sie Sonnenlicht“, erklärt Professor Dr. Thomas Mock. Außerdem benötige die zelluläre Maschinerie viel Eisen, um das Sonnenlicht nutzen zu können. Auf 35 Prozent der Meeresoberfläche sei jedoch nicht genug Eisen vorhanden, um das Wachstum der Algen zu unterstützen. „In diesen Gebieten wird die Produktivität der Algen wahrscheinlich viel geringer sein, ähnlich wie bei Landpflanzen, denen es an eisen- und stickstoffhaltigem Dünger mangelt und die deshalb nicht so gut wachsen.“

Der Klimawandel wird diesen Effekt voraussichtlich noch verstärken: „Die globale Erwärmung führt zu mehr Trockenheit an Land, und das Gleiche passiert im Meer: Je wärmer das Oberflächenwasser wird, desto weniger Nährstoffe sind in diesen Oberflächenwasserschichten vorhanden, weil die Durchmischung abnimmt, die normalerweise Nährstoffe aus dem tieferen Meer zuführt.“ In der Folge müssten die Algen hungern, produzierten weniger Nahrung und nähmen weniger CO2 aus der Atmosphäre auf.

Das Forscherteam fand nun heraus, dass die Algen einen Weg gefunden haben, mit dem Nährstoffmangel umzugehen, indem sie eine zusätzliche Zellmaschinerie entwickelt haben, die es ihnen ermöglicht, Sonnenlicht für ihr Wachstum zu nutzen, ohne dafür Eisen zu benötigen. Jan Strauss erklärt: „Einige Gruppen von Mikroalgen können die Photosynthese umgehen, indem sie eine lichtgetriebene Protonenpumpe als Wachstumsmotor verwenden.“

Statt auf Proteine der photosynthetischen Zellmaschinerie angewiesen zu sein, die Eisen benötigen, verwenden die Algen ein lichtgetriebenes Membranprotein namens Rhodopsin, das mit einem Protein im menschlichen Auge verwandt ist. Diese Proteine benötigen kein Eisen, und eine bestimmte Gruppe von ihnen pumpt Protonen durch die Membranen und ermöglicht so die Synthese von ATP (Adenosintriphosphat), dem universellen Energieträger aller Zellen – eine der Hauptfunktionen der Photosynthese in allen photosynthetischen Organismen.

Während der gemeinsamen Arbeit im Labor von Georg Nagel gelang es Shiqiang Gao, die Algen-Rhodopsine zu klonen. Mithilfe spezieller elektrophysiologischer Methoden konnte er anschließend ihre effektive Protonenpumpenfähigkeit auch bei niedrigen Temperaturen, wie sie beispielsweise im Südpolarmeer vorherrschen, demonstrieren. Das ist der Grund, warum sie in diesen nährstoffarmen Oberflächenmeeren noch gedeihen können.

Das zentrale Ergebnis der Studie fasst Thomas Mock so zusammen: „Dank der lichtbetriebenen Protonenpumpe können diese Algen in nährstoffarmen Oberflächenmeeren besser gedeihen als erwartet“. Damit seien sie auch für die Folgen der globalen Erwärmung besser gewappnet.

Potenziell könne diese Entdeckung auch dazu genutzt werden, die Produktivität von Nutzpflanzen an Land zu steigern, die für ihr Wachstum ebenfalls Eisen benötigen, sagt Thomas Mock, und er denkt noch einen Schritt weiter: „Diese Maschinerie kann in der Biotechnologie eingesetzt werden, um die Produktivität von Mikroben zu steigern, die kein Licht nutzen können, wie beispielsweise Hefe.“ Mithilfe der Rhodopsin-Proteine könnten die Mikroben in die Lage versetzt werden, Licht für ihr Wachstum zu nutzen. Das sei wünschenswert zum Beispiel bei der Produktion von Insulin, Antibiotika, Enzymen, Virostatika oder Biokraftstoffen.

Besonders wichtig sei die Arbeit des Teams aber für das Südpolarmeer, das sowohl das größte eisenlimitierte aquatische Ökosystem als auch eines der produktivsten ist, da es die größten Populationen von Algenkonsumenten ernährt. „Kein anderer Lebensraum auf der Erde ist für das Überleben der Menschen und des Lebens im Allgemeinen wichtiger als unsere Ozeane“, so Thomas Mock.
 

Publikation:

Strauss, Jan et al. Plastid-localized xanthorhodopsin increases diatom biomass and ecosystem productivity in iron-limited surface ocean. Nature Microbiology.

DOI: 10.1038/s41564-023-01498-5

https://doi.org/10.1038/s41564-023-01498-5

Projekt-Förderung:

Die Doktorandenstelle von Jan Strauss wurde von der School of Environmental Sciences der UEA finanziert. Er erhielt außerdem ein Stipendium des EMBL Interdisciplinary Postdoc (EIPOD) Programms im Rahmen des Marie Sklodowska-Curie Actions COFUND Programms (Grant Nummer 664726). Weitere Mittel wurden durch das GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und der Gordon and Betty Moore Foundation (Grant 3788 an Alexandra Z. Worden) sowie durch Zuschüsse des Natural Environment Research Council bereitgestellt.

Eine Welle lässt Gischt an einem Eisberg hochspritzen.

Das Südpolarmeer ist trotz des limitierten Eisenangebots eines der produktivsten aquatischen Ökosysteme und beherbergt die größten Populationen von Algenkonsumenten. Foto: Martin Visbeck/GEOMAR

Blaue und grüne Wirbel auf der Meeresoberfläche, vom All aus gesehen.

Phytoplanktonblüte im Südpolarmeer, vom All aus gesehen: Verschiedene Arten und Mengen von Phytoplankton weisen unterschiedliche Blau- und Grüntöne auf. Foto: ESA, CC B Y-SA 3.0 IGO

Einzeller unter dem Mikroskop

Ein wichtiger Bestandteil des Phytoplanktons: Kieselalgen oder Diatomeen. Foto: Oliver Skibbe

Halbdurchsichtiges pflanzliches Material

Kieselalgen können während der Phytoplanktonblüte dichte Matten im Südpolarmeer ausbilden. Foto: University of Hawaii/E. Goetze

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