PISAGUA

Übersicht 

Für den wiederholt von Starkbeben betroffenen nordchilenischen Kontinentrand liegt aufgrund der hohen Seismizitätsrate landseitig ein außergewöhnlicher geophysikalisch-geologisch-geodätischer Datensatz vor. Für ein tiefer gehendes Verständnis der Prozesse fehlt die Kenntnis der Tiefenstruktur des marinen Forearcs und der seismogenen Zone, da dieser seewärtige Bereich bisher nicht mit moderner Vermessungstechnologie untersucht wurde und daher nur begrenzte Informationen über den Aufbau und Struktur der subduzierten ozeanischen und der überfahrenden kontinentalen Kruste vorliegen. Das Ziel der Ausfahrt PISAGUA ist eine detaillierte Studie zur Abbildung der Tiefenstruktur offshore Taltal mit 2D und 3D Refraktionsexperimenten, um die Beziehung zwischen Deformationsverhalten und Forearc-Strukturen anhand der nordchilenischen Subduktionszone als Typlokation zu analysieren und um damit einen Beitrag zu regionalen Gefährdungsstudien leisten. Insbesondere die dreidimensionale Analyse von Refraktionsdaten gehört nicht zum standardisierten Auswerteverfahren und beinhaltet methodische Herausforderungen um die angefallenen Daten in dreidimensionale Geschwindigkeitsmodelle zu invertieren. Für die Ausfahrt stehen insg. 50 OBS/OBH aus dem GEOMAR-Pool zur Verfügung. Weiterhin ist geplant, das Refraktionsexperiment mit 30 Instrumenten landwärts fortzusetzen (Universidad de Concepción/GEOMAR). Fünf neuartige, driftfreie Drucksensoren (A-0-A Messprinzip) werden als Profil aufgebaut und erlauben erstmals, Meeresspiegelschwankungen oder die Absenkung des Meeresbodens über mehr als fünf Jahre mit cm-Genauigkeit zu bestimmen. 

 

Wissenschaftliches Programm

 Mit dem Forschungsvorhaben SO297 PISAGUA soll eine Reihe spezifischer wissenschaftlicher Fragestellungen bearbeitet werden, die sich aus Studien von Subduktionszonen ergeben haben. Das Hauptziel von SO297 PISAGUA ist ein besseres Verständnis über den Zusammenhang von Struktur und Deformation einer Subduktionszone.

 Aus der Bearbeitung der einzelnen, nachfolgend aufgeführten wissenschaftlichen Ziele ergibt sich ein dreidimensionales strukturelles Modell über die erosive Subduktionszone. Durch Vergleich des hochauflösenden Untergrundmodells mit dem Kopplungsverhalten des Kontinentalrandes können wichtige Fragen über den Spannungsaufbau und damit die Entstehung von Starkbeben abgeleitet werden.

Wissenschaftliche Ziele SO297

 -     Erstellung eines dreidimensionalen und hochauflösenden Geschwindigkeitsmodells der aktuellen Architektur einer erosiven Subduktionszone.

-  Identifikation struktureller Parameter, die das seismische und aseismische Verhalten einer erosiven Subduktionszone bestimmen. Dies geschieht durch den Vergleich der Strukturinformationen mit anderen Informationen wie z.B. Bewegungsmodelle (engl. „slip models“), Seismizität, Bathymetrie und geodätische Informationen.

-     Beobachtung von down-dip und lateralen strukturellen Variationen und Vergleich Änderungen von Seismizität und Bewegungsmodellen.

-     Abbildung der Geometrie des gegenwärtigen Deformationskeils und der Geometrie der Plattengrenzfläche in der Tiefe mit dem Ziel, die regionale Gefährdung hervorgerufen durch seismische Aktivität und tsunamigene Prozesse besser einschätzen zu können.

 -     Für das Arbeitsgebiet sind bisher nur teilweise hochauflösende Meerestiefen bekannt. Während SO297 sollen diese Lücken mit Fächerecholot kartiert werden.

-     Während SO297 werden fünf neuartige Drucksensoren installiert. Diese können über mehrere Jahre Druck driftfrei messen mit dem Ziel, Höhenänderungen des Meeresspiegels oder Anhebungen (engl. uplift) des Meeresbodens offshore in-situ erstmalig zu beobachten.

 

Arbeitsprogramm

Die geophysikalischen Messungen lassen sich drei Gruppen zuordnen: 

Weitwinkelreflexion und Refraktion mit Ozeanbodenseismometern

Für die Aufzeichnungen von Weitwinkelreflexionen der Airgunschüsse werden 30 Ozeanbodenseismometer (OBS) und 20 Ozeanboden Hydrophone (OBH) verwendet. Sechs der OBS Geräte sind speziell für große Wassertiefen bis 8000 m gebaut. Diese Geräte werden in der Nähe des Tiefseegrabens bis 7500 m eingesetzt (Abbildung 1). Alle anderen Geräte werden in Wassertiefen flacher als 6000 m eingesetzt. Die geplanten Geräte vom GEOMAR werden zuerst auf zwei Refraktionsprofilen mit 43 und 38 OBS eingesetzt (Abbildung 1). Das Profil P1 (43 OBS/OBH, 137 Seemeilen) steht senkrecht zum Graben und entlang des Taltal-Rücken auf der ozeanischen Platte. Profil P2 (38 OBS/OBH, 121 Seemeilen) befindet sich entlang des Copiapó-Rückens und ist damit leicht schräg zum Graben und zur Küste ausgerichtet. Beide Profile decken die einfahrende Platte, den Tiefseegraben und den Forarc ab und werden landseitig fortgesetzt (Abbildung 1).

Um die zwei 2D-Refraktionsprofile zu erhalten werden für jedes der Profile die Instrumente ausgelegt, mit den Airguns abgefahren und danach die OBS/OBH wieder abgebaut. Wir rechnen mit 6 Arbeitstagen für das Profil P1 und 5,5 Arbeitstagen für das Profil P2.

 Ein weiterer Einsatz erfolgt danach auf einer großflächigen Auslage um den gesamten marinen Forearc in drei Dimensionen abzubilden. Die Fahrtroute während des 3D-Experiments ist in Abbildung 1 als gelbe Linie gezeigt. Die Fahrtstrecke für die Installation der 50 Geräte des 3D Experiments beträgt für Installation und Deinstallation jeweils 752 Seemeilen (je etwa 5 Tage). Die großflächige 3D Auslage wird mehrfach in einem Gitter mit den Airguns abgefahren, um eine gute Durstrahlung des Untergrunds in drei Dimensionen zu erhalten.  Das Abschießen des 3D-Experiments wird einen großen Teil der Arbeitstage benötigen. Die Fahrtstrecke beträgt 1592 Seemeilen, d.h. etwa 12 Tage bei 4-4.5 Knoten.

Für die zusätzliche Aufzeichnung von Reflektionsseismik während des Weitwinkelexperiments wird ein kurzer Streamer eingesetzt, der Profile über die sedimentären Strukturen des Untergrunds aufzeichnet.

Zusammen mit unseren chilenischen Kooperationspartnern (Universidad de Concepción) planen wir die Verlängerung des Expeiments an Land. Wir planen den Aufbau von 60 kurzperiodischen Seismometern. 30 Stationen werden vom Geophysikalischen Gerätepool Potsdam (GIPP) ausgeliehen und die anderen 30 Stationen sind aus dem Bestand der Universidad de Concepción.

Vor und während des Betriebs der Airguns werden visuelle Beobachtungen („MMO“) durchgeführt. Weitere Maßnahmen, wie z.B. ein langsames „Hochfahren“ der Airguns werden durchgeführt um die Auswirkungen auf marine Säugetiere (z.B. Wale, Delfine) zu minimieren.

Bathymetrie und Parasound

 Das Fächerecholot zur Kartierung der bisher wenig vermessenen Meeresbodens seewärts von Taltal läuft während des Ausbringens und Einholens der OBS Stationen und bei den Profilfahrten. Das Sedimentecholot (Parasound) soll dort eingesetzt werden, wo aufgrund flacher Topographie kohärente Signale aus den Sedimenten erwartet werden. Insgesamt ist bisher das Arbeitsgebiet nur lückenhaft mit Fächerecholot kartiert worden.

Mikroseismizität

Die OBS registrieren fortlaufend seismische Signale. Insbesondere während schussfreier Zeiten zeichnen die OBS Stationen auch natürliche Seismizität auf und erlauben die Detektion von sehr kleinen Erdbeben im marinen Bereich. Die Seismizität dient der Beobachtung der Bewegung entlang Störungszonen um Aussagen über das das Aktivitätsniveau der Ober- und Unterplatte und der Subduktionsgrenzfläche abzuleiten.

Die Landstationen werden im Februar 2023 aufgebaut und sollen etwa 6 Monate natürliche Seismizität aufzeichnen. Insgesamt erwarten wir im Durchschnitt etwa ein Erdbebenereignis größer als Magnitude 2 pro Stunde und damit etwa 1.000 Mikroerdbeben für jeden Monat Aufzeichnung der Landstationen.

Driftfreie Drucksensoren

Während der Ausfahrt sollen fünf neuartige Drucksensoren (A-O-A Messung, driftfrei) installiert werden. Durch die Registrierung von driftfreien Druckänderungen können langsame vertikale Deformation und Meeresspiegel-schwankungen mit cm-Auflösung über 5 Jahre beobacht werden und liefern kinematische Randbedingungen über den Spannungsaufbau der Subduktionszone.

Drei Drucksensoren werden von der Universität Concepción gestellt und werden auf einem dreibeinigen Gestell („Tripode“) mit Releaser installiert. Zwei Drucksensoren sind vom GEOMAR und werden auf einem OBS Gestell angebracht.

 Aufgrund der Wassertiefen und der rauen Morphologie planen wir ein kontrolliertes Absetzen (Abbildung 3), das bereits mit anderen geodätischen Geräten erfolgreich durchgeführt wurde. Die Transponder sollen am Tiefseekabel ausgebracht werden, wobei eine Auslöseeinheit die Verbindung zwischen den Transpondern und dem Kabel darstellt. Zwei Posidonia Einheiten werden am Kabel angebracht, um das Aufsetzen des Instruments auf dem Meeresboden anzuzeigen. Die Distanz zwischen den Einheiten wird erst abnehmen, wenn das Gerät den Meeresboden erreicht hat. Eine ~20 m lange Schwimmleine oberhalb des Auftriebskörpers soll das Gerät am Meeresboden von dem Tiefseedraht entkoppeln, um Spannungen auf das Gerät am Meeresboden zu verhindern.