Golfstrom und Atlantische Zirkulation

Ein Beispiel für fachübergreifende Forschung am GEOMAR

Der Golfstrom ist eine der weltweit stärksten Meeres­strömungen. Als Teil der großen Atlantischen Umwälzzirkulation spielt er mit seinem nordwärts gerichteten Wärme- und Salztransport eine wichtige Rolle für das Klima Nordwesteuropas. Modelle sagen voraus, dass er sich abschwächen könnte, wenn aufgrund der globalen Erwärmung das grönländische Eisschild weiter abschmilzt und so den Salzgehalt des Nordatlantiks verringert. Zu den möglichen Folgen einer solchen Abschwächung sind aber noch viele Fragen offen. Am GEOMAR werden Schwankungen und die durch die Klima­erwärmung entstehenden Veränderungen der Atlantischen Zirkulation mit interdisziplinären Methoden und Forschungsansätzen untersucht.

Um die verschiedenen Aspekte dieser großräumigen Strömungs­muster besser zu verstehen, wird die Expertise aus den Bereichen ­Maritime Meteorologie, Paläo-Ozeanographie, Physikalische Ozeanographie und Ozean­dynamik fachübergreifend gebündelt: Aus Proxydaten, die in der Paläo-Ozeanographie untersucht werden, ist bekannt, dass sich die großräumigen Strömungsmuster im Atlantik in der Vergangenheit wiederholt geändert haben, was dann deutliche Auswirkungen auf das globale Klima gehabt hat. Da viele dieser Änderungen im Zusammenhang mit Schmelzwassereinträgen in den Nordatlantik standen, stellt sich die Frage, ob mit dem heutigen Klimawandel einhergehende Abschmelzvorgänge in Grönland zu Veränderungen der Umwälzzirkulation führen können. Über Mess­ergebnisse der Physikalischen Ozeanographie aus dem subpolaren und tropischen Atlantik soll ermittelt werden, ob solche Änderungen aktuell bereits stattfinden. Die Messungen aus dem Atlantik liefern auch die wichtigen Daten zum Eichen der hochauflösenden Modellsimulationen der Ozean­dynamik. Die Modelle ermöglichen es, die unterschiedlichen und begrenzten Messungen in ein physikalisch konsistentes Gesamtbild zu setzen. Ziel ist die Entwicklung von Prognosen, wie und mit welcher Intensität und Variabilität sich die großräumigen Meeres­strömungen im Atlantik in der Zukunft entwickeln werden.

 

Wie stark schwächt schmelzendes Grönlandeis die atlantische Wärmepumpe und den Golfstrom?

Eine der größten Unbekannten im momentanen Klimawandel ist der sich stetig verstärkende Eintrag von Gletscher­schmelzwasser in den Ozean. So bindet das grönländische Eisschild eine Süßwassermenge, die in etwa sieben Meter globalen Meeresspiegelanstiegs entspricht. Im Ozean vermindert diese den Salzgehalt und damit die Dichte des Meerwassers. Schmelzende Eismassen haben so letztlich Einfluss auf den Nordatlantischen Strom, eine Fortsetzung des Golfstromes. Diese „Wärmepumpe­ Europas“ beschert uns auch in relativ hohen Breiten noch ein mildes Klima, ihr versiegen eine empfindliche Abkühlung.

Das GEOMAR beteiligt sich seit Jahrzehnten an internationalen Messkampagnen, um die Stärke und Variabilität der von Wind und Dichteunterschieden getriebenen atlantischen Umwälzzirkulation zu beobachten, deren Teil auch der Nord­atlantische Strom ist. Aufwändige Studien mit hochauflösenden Ozean- und Klimamodellen ermöglichen es am GEOMAR die Folgen verstärkten Schmelzens des grönländischen Eisschildes auf die Ozean­zirkulation genauer zu analysieren, in einen größeren Zusammenhang zu setzen, durch Sensitivitätsrechnungen tiefer zu verstehen und besser vorherzusagen.

Am GEOMAR durchgeführte Studien weisen auf eine Unterschätzung des Einflusses auf die Ozeanzirkulation in aktuellen Klimamodellen hin. Letztere stellen im Gegensatz zu hochauflösenden Simulationen meso­skalige Ozeanwirbel von 10 bis 100 Kilometer nicht explizit dar. ­Diese Wirbel haben jedoch erheblichen Einfluss auf Zirkulation und Verteilung des Schmelzwassers. So stellt sich in Modellstudien schon nach wenigen Dekaden massiven Schmelzens eine Abschwächung der Wärme­pumpe und erhebliche Abkühlung im nordatlantischen Raum ein.

 

Die Atlantische Zirkulation in der Vergangenheit

Forschungsergebnisse belegen, dass die atlantische Umwälzzirkulation in ihrer Geschichte sehr empfindlich und schnell auf Störungen reagiert hat, wie zum Beispiel auf den Süßwassereintrag durch abschmelzendes Gletschereis der Nordhemisphäre am Ende der letzten Eiszeit. Da Süßwasser weniger dicht als Meerwasser ist, konnte damals nicht mehr so viel Tiefenwasser gebildet werden. Dies führte dazu, dass sich die Struktur der Umwälzzirkulation veränderte und vor ungefähr 17.000 Jahren für einige 100 Jahre während eines sogenannten Heinrich-Ereignisses (dem Kollaps des Eisschilds auf Kanada) wohl sogar zusammenbrach. Dieser Ausfall hatte dramatische Folgen für das Klima der Nordhemisphäre. Sollte das grönländische Eisschild als Folge der globalen Klimaerwärmung zukünftig noch schneller abschmelzen, könnte dies negative Konsequenzen für die Umwälzzirkulation und für das Golfstromsystem haben.

 

Das Zusammenspiel von Ozeanmodellen und Langzeitbeobachtungen

Langzeitbeobachtungen durch Verankerungen ermöglichen nur einen regional und zeitlich begrenzten Blick in den Ozean. Ozeanmodelle fügen diese zu einem Gesamtbild zusammen. Da Ozeanmodelle auf grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Strömungsmechanik und Thermodynamik basieren, ist dieses Bild physikalisch konsistent und gibt einen Einblick in das Zusammenspiel von Strömungssystemen und Wassermassen. Aufgrund der Vielzahl zu betrachtender Prozesse innerhalb des Ozeans und seiner Antriebsfaktoren wie Wind, Wärmeflüsse oder Niederschläge an der Grenzschicht Atmosphäre-­Ozean sowie aufgrund der erforderlichen Auflösung gehören solche Simulationen zu den aufwändigsten Modellrechnungen, die nur durch Höchstleistungsrechner durchgeführt werden können. Eines der Flaggschiffe unter den Modellen der Ozean­dynamik ist das hochauflösende Atlantikmodell ­VIKING20X. In diesem werden Geschwindigkeiten, Temperaturen und Salzgehalte in einem 3D-Gitter mit Maschenweite von wenigen Kilometern in der Horizontalen und 46 Tiefenschichten in der Vertikalen über Zeiträume der letzten 60 Jahre simuliert. Die Atlantische Umwälzzirkulation ist dabei eine der entscheidenden Kerngrößen für das Verständnis des Ozeans und seiner Auswirkungen auf das Klima und die Klimavariabilität. Sie wird aus der Gesamtheit der Ozean­strömungen berechnet und gibt die Stärke aus an der Oberfläche nach Norden strömenden warmen und in der Tiefe nach Süden strömenden kalten Wassermassen an.
 

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