Das globale Kohlendioxid-Budget für die Jahre 1990 bis 2000 (blau) und 2000 bis 2009 (rot), angegeben in Gigatonnen pro Jahr. Grafik: Katharina Marg, formkombinat
Für die Jahre 1875, 1995, 2050 und 2095 berechnete mittlere pH-Werte an der Meeresoberfläche. Grafiken nach Feeley et al., Oceanography (2009)
Aussetzen der Kieler Mesokosmen im Kongsfjord, Spitzbergen. Foto: Signe Klavsen, GEOMAR
Beim Mesokosmen-Experiment in Spitzbergen untersuchen Wissenschaftler, wie das marine Ökosystem der Arktis auf die Ozeanversauerung reagiert. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Die Kalkalge Emiliania huxleyi, aufgenommen durch das Rasterelektronenmikroskop. Foto: GEOMAR
Mit Hilfe der "Spinne" werden die Mesokosmen auf verschiedene Kohlendioxid-Niveaus gebracht. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Probenverarbeitung im Kongsfjord, Spitzbergen. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR

Ozeanversauerung: Das andere Kohlendioxid-Problem

Informationen und Experimente

Als gigantische „Senken“ nehmen die Ozeane etwa ein Viertel des von Menschen produzierten Kohlendioxids auf. So helfen sie, den Klimawandel zu verlangsamen. Doch im Meer reagiert das Kohlendioxid zu Kohlensäure. Das Wasser wird saurer und damit zu einer Gefahr für große und kleine Lebewesen, die ihre Schalen und Skelette aus Kalk aufbauen. „Ozeanversauerung“ nennen Wissenschaftler dieses Phänomen. Welche Folgen hat die Ozeanversauerung für das Leben im Meer?

Von Maike Nicolai, Kommunikation & Medien (GEOMAR)

Seit fast einer Stunde knien Jan Büdenbender und Tim Boxhammer nun schon in ihrem kleinen Boot auf dem Kongsfjord vor Ny-Alesund in Spitzbergen. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt fischen die beiden Kieler Meeresbiologen im eisigen Wasser nach Lebewesen, die mit dem bloßen Auge nur unter größter Anstrengung zu erkennen sind: Flügelschnecken. Limacina helicina interessiert sie nicht etwa, weil sie sich mit ihrem zu Flügeln umgebildeten Fuß geradezu elegant im Wasser auf und ab bewegen kann. Sondern weil sie eine wichtige Rolle im arktischen Nahrungsnetz spielt – und als eines der ersten Organismen unter der Ozeanversauerung leiden wird.

Ozeanversauerung – warum findet sie statt?

Seit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts haben Menschen allein durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle, Erdgas und Erdöl rund 440 Milliarden Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre entlassen. Das entspricht einem mit flüssigem CO2-Gas beladenem Güterzug von einer Länge dreieinhalbmal zum Mond und zurück.

Pflanzen verarbeiten dieses unsichtbare und geruchlose Gas bei der Photosynthese zu Sauerstoff. Auch das Meer bindet als so genannte „CO2-Senke“ Kohlendioxid. Es nimmt mehr als ein Viertel des von Menschen produzierten Kohlendioxids auf. Gäbe es diese natürlichen Speicher auf unserem Planeten nicht, würde er sich viel schneller und stärker erwärmen als wir es heute bereits feststellen. Denn Kohlendioxid ist ein gefährliches Treibhausgas: Gelangt es in die Atmosphäre, reflektiert es dort von der Erde abgestrahlte Wärme – das Klima heizt sich auf.

Ein wenig Chemie: Was passiert im Meerwasser?

Die Ozeane bremsen die globale Erwärmung. Doch das CO2 aus der Atmosphäre reagiert im Meer mit dem Wasser zu Kohlensäure. Als Folge davon sinkt der pH-Wert des Wassers – es wird saurer. Chemiker unterscheiden bei der Ozeanversauerung zwei Reaktionen.

Wenn Wasser mit Kohlendioxid zu Kohlensäure reagiert, werden Hydrogenkarbonat-Ionen und Wasserstoff-Ionen freigesetzt. Die Wasserstoff-Ionen steigern den Säuregrad und reduzieren den pH-Wert:

     CO2+H2O <-> H2CO3 <-> H++HCO3-

Ein Teil der in der ersten Reaktion freigesetzen Wasserstoff-Ionen reagieren mit dem in Meerwasser reichlich vorhandenen Karbonat-Ionen (CO32-):

     H++CO32- <-> 2HCO3-

Dies führt dazu, dass die Ansäuerung durch CO2 teilweise  „abgepuffert“ wird, der Säuregehalt also nicht so stark steigt, wie ohne den Karbonatpuffer. 

Gemeinsam führen die beiden Reaktionen dazu, dass im Wasser weniger Karbonat-Ionen verfügbar sind. Diese benötigen kalkbildende Lebewesen wie Algen und Plankton, Muscheln, Schnecken, Seeigel oder Korallen jedoch für ihr Wachstum.

Kleinere Organismen wie die Flügelschnecke sind als erstes von der Ozeanversauerung betroffen. Sie sind Futter für Fische und andere größere Tiere. Ihr Stoffwechsel beeinflusst außerdem wichtige chemische Abläufe im Ozean. So kann mit der Basis des empfindlichen Nahrungsnetzes schließlich das ganze System aus dem Gleichgewicht geraten. Noch ist unklar, was dies für unser Klima und unsere Umwelt bedeutet. Deshalb arbeiten Wissenschaftler mit Hochdruck daran, den Prozess der Ozeanversauerung besser zu verstehen und seine Auswirkungen besser abzuschätzen.

Animation zum Prozess der Ozeanversauerung.

Die Kieler Mesokosmen: Der Ozean der Zukunft im Kleinformat

Da Laborexperimente nicht ausreichen, um die Auswirkungen der Ozeanversauerung für das Leben im Meer zu erforschen, wurden am GEOMAR in Kiel so genannte „Mesokosmen“ entwickelt. In ihren etwa acht Meter hohen und zweieinhalb Meter breiten Schwimmkörpern hängen lange, unten verschließbare Kunststoffschläuche, die eine 80 Kubikmeter große Wassersäule mit allem darin enthaltenen Leben isolieren. In diesen riesigen Reagenzgläsern lassen sich CO2-Niveaus simulieren, die für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte prognostiziert werden. Während der Experimente werden in den Mesokosmen über mehrere Wochen Temperatur, Salz-, Sauerstoff- und Chlorophyllgehalt sowie verschiedene andere Gase gemessen und Wasserproben für spätere Analysen gesammelt.

Nach Tests in der Kieler Bucht fand von Mai bis Juli 2010 ein Experiment im Kongsfjord vor Ny-Alesund in Spitzbergen statt. Im Mai bis Juli 2011 schlossen sich Untersuchungen im Raunefjord bei Bergen in Norwegen an. Die umfangreichen Daten beider Einsätze weisen darauf hin, dass die Versauerung des Wassers einschneidende Veränderungen für die Meeresumwelt ausgelöst, deren Folgen schließlich auch der Mensch zu spüren bekommt.

Video über das Mesokosmen-Experiment in Spitzbergen.

Limacina helicina und Emiliania huxleyi: Zwei Organismen im Fokus

Für die Flügelschnecke Limacina helicina konnten die Forscher anhand ihrer Experimente bereits erkennen: Das Gehäuse des kleinen Tieres bleibt dünner, wird brüchig und löst sich mit zunehmender Versauerung nach und nach auf. Was dies für das komplexe Nahrungsnetz bedeutet, sollen weitere Experimente und Modellrechnungen klären.

Limacina helicina unter dem Mikroskop.

Eine ähnlich tragende Rolle für das Ökosystem Meer spielt die Kalkalge Emiliania huxleyi. Sie ist ein kleiner Alleskönner: Einerseits bindet sie Kohlenstoff in ihrer Schale, transportiert diesen in tiefere Wasserschichten und sorgt so dafür, dass das Meer mehr CO2 aufnehmen kann. Dieser Ballasteffekt schwächt sich ab, wenn ihre Schalen bei zunehmender Versauerung dünner bleiben. Andererseits setzt sie das klimakühlende Gas Dimethylsulfid (DMS) frei. In der Atmosphäre bilden sich aus dieser schwefelhaltigen Verbindung Schwefelsäuretröpfchen. Diese formen wolkenähnliche Schichten, die das Sonnenlicht reflektieren und dem Treibhauseffekt entgegen wirken können. Ist Emiliania in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, könnte weniger kühlendes Gas produziert werden – und die globale Erwärmung würde beschleunigt.

Experimente zur Ozeanversauerung für Schüler

Um Schülern die chemischen und physikalischen Grundlagen der Ozeanversauerung näher zu bringen, hat das deutsche Verbundprojekt BIOACID (Biological Impacts of Ocean ACIDification) eine Broschüre mit Experimenten herausgegeben. Entwickelt wurden die Experimente im Rahmen von CarboSchools mit Unterstützung durch das Siebte Rahmenprogramm der Europäischen Union gefördert wird. Die BIOACID-Broschüre "Das andere CO2-Problem: Ozeanversauerung. Acht Experimente für Schüler und Lehrer" kann unter presse(at)geomar.de bestellt werden. Eine pdf-Version steht hier zum Download zur Verfügung.

Informationen für Entscheidungsträger

Die Broschüre "Auf den Punkt gebracht" des Projekts EPOCA (European Project on Ocean Acidification, Laufzeit: 2008-2012) liefert weitere Hintergrundinformationen. Eine pdf-Version steht hier zum Download zur Verfügung.

Mit dem Auslaufen des EU-Projekts EPOCA schlossen sich die europäischen Projekte zur Ozeanversauerung unter dem Dach des Ocean Acidification International Coordination Centre (OA-ICC) zusammen. Wissenschaftler und Vertreter von Wirtschaft, Politik und Umweltschutz arbeiten im Rahmen der Ocean Acidification International Reference User Group (OAiRUG) zusammen. Im September 2012 veröffentlichte dieses Gremium "Ozeanversauerung: Die Wissensdatenbank 2012".

Anlässlich der 19. UNFCCC-Klimaverhandlungen in Warschau (COP19) haben führende Wissenschaftler den aktuellen Kenntnisstand zur Ozeanversauerung zusammengefasst und Gewissheiten für einzelne Aspekte angegeben."Ocean Acidification - Summary for Policymakers" ist das Ergebnis des Third International Symposium on the Ocean in a High-CO2 World. An dem Treffen im September 2012 in Monterey, Kalifornien, nahmen mehr als 540 Fachleute aus 37 Ländern teil.

Das globale Kohlendioxid-Budget für die Jahre 1990 bis 2000 (blau) und 2000 bis 2009 (rot), angegeben in Gigatonnen pro Jahr. Grafik: Katharina Marg, formkombinat
Für die Jahre 1875, 1995, 2050 und 2095 berechnete mittlere pH-Werte an der Meeresoberfläche. Grafiken nach Feeley et al., Oceanography (2009)
Aussetzen der Kieler Mesokosmen im Kongsfjord, Spitzbergen. Foto: Signe Klavsen, GEOMAR
Beim Mesokosmen-Experiment in Spitzbergen untersuchen Wissenschaftler, wie das marine Ökosystem der Arktis auf die Ozeanversauerung reagiert. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Die Kalkalge Emiliania huxleyi, aufgenommen durch das Rasterelektronenmikroskop. Foto: GEOMAR
Mit Hilfe der "Spinne" werden die Mesokosmen auf verschiedene Kohlendioxid-Niveaus gebracht. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR
Probenverarbeitung im Kongsfjord, Spitzbergen. Foto: Maike Nicolai, GEOMAR