Die ökologische Bedeutung von Parasiten in Meeresökosystemen

Petersen Exzellenz-Professur 29 | Prof. Dr. David Thieltges

Parasiten haben keinen guten Ruf. Das ist nicht verwunderlich, gelten sie doch gemeinhin als Plagegeister, die manchmal schwere Krankheiten bei Menschen und Tieren verursachen. Auch bei Fischern und in der Muschel- und Austernkultur sind manche Parasiten nicht gern gesehen, weil sie hohen ökonomischen Schaden anrichten können. Aus ökologischer Sicht ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Die meisten Parasiten, die in marinen Organismen zu finden sind, haben für den Menschen und ökonomische Belange keine Relevanz. Allerdings können sie über die vielfältigen Auswirkungen auf ihre Wirte weitreichende indirekte Effekte auf andere Arten, Nahrungsnetze und Ökosystemfunktionen haben.

 

Komplexer Lebenszyklus
Viele Parasiten benötigen im Laufe ihres Lebens mehrere, verschiedene Wirte. Im Fall der in Küstenökosystemen besonders häufigen Saugwürmer sind dies meistens drei Wirte. Die erwachsenen Parasiten leben in Wirbeltieren und über ins Wasser ausgeschiedene Eier infizieren sie Schnecken als erste Zwischenwirte. Darin entwickelt sich ein weiteres freilebendes Stadium, das die Schnecken verlässt und einen zweiten Zwischenwirt infiziert, was je nach Art Weichtiere, Krebstiere oder auch Fische sein können. Wenn der zweite Zwischenwirt von einem Endwirt gefressen wird, vollendet sich der Parasitenzyklus. Andere Parasiten halten es bedeutend einfacher und werden direkt von einem Wirt zum nächsten übertragen, wie zum Beispiel parasitische Ruderfußkrebse im Darm von Muscheln oder Rankenfußkrebse in der Körperhöhle von Krabben.

 

Direkte und indirekte Effekte
Der Befall mit Parasiten kann vielfältige direkte Auswirkungen auf ihre Wirte haben. Parasiten ernähren sich von ihren Wirten und ziehen daher Energiereserven ab, und auch Reaktionen des Immunsystems auf Infektionen kosten Energie. In manchen Fällen hat das relativ milde Folgen für den Wirt wie z.B. ein reduziertes Wachstum, in anderen Fällen können die Auswirkungen dramatischer sein und die Sterblichkeit erhöhen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Seehundstaupe-Epidemien von 1988 und 2002, welche die Seehundpopulation im Wattenmeer jeweils etwa halbiert haben. Solche direkten Effekte von Parasiten auf ihre Wirte können wiederum indirekte Effekte auf weitere Arten haben, die nicht selber mit den Parasiten interagieren. Das lässt sich gut in experimentellen Studien im Labor oder im Feld untersuchen. Zum Beispiel vermindert bei Miesmuscheln der Befall mit Saugwürmern die Filtrationsleistung, was zu einem geringeren Prädationsdruck auf das Phytoplankton führt. Die direkte Interaktion zwischen Parasiten und Miesmuscheln führt also indirekt zu einer Verringerung der Interaktion zwischen Miesmuscheln und Phytoplankton.

 

Parasiten in Nahrungsnetzen
Neben solchen Effekten auf einzelne Nahrungsketten können Parasiten auch ganze Nahrungsnetze beeinflussen. Die Analysen zeigten deutlich, dass die Komplexität der Nahrungsnetze durch parasitische Interaktionen komplexer und dichter wird, was zur Stabilität von Nahrungsnetzen beitragen könnte. Auch werden die Nahrungsketten länger, weil selbst Räuber an der Spitze der Nahrungskette noch als Ressource für parasitische Konsumenten dienen. In den letzten 15 Jahren wurde durch experimentelle Untersuchungen immer deutlicher, dass Parasiten in Nahrungsnetzen nicht nur als Konsumenten fungieren, sondern auch selbst als Ressource dienen, das heisst, sie werden von anderen Organismen gefressen. Diese Organismen sind keine Wirte, sondern konsumieren Parasitenstadien, ohne selber befallen zu werden. Das hat nicht nur Konsequenzen für Nahrungsnetze, sondern auch für die Infektionsdynamik von Parasiten. Wenn weniger Infektionsstadien im Infektionspool verbleiben, führt das meist zu geringeren Befallsraten bei den jeweiligen Wirten, da die Übertragung von einem Wirt zum nächsten erschwert wird.

 

Fazit
Das Sprichwort “Alles hat zwei Seiten” scheint auf Parasiten gut zuzutreffen. Auf der einen Seite sind sie Plagegeister, die unerwünschte Krankheiten bei Menschen und Tieren sowie ökonomischen Schaden verursachen. Auf der anderen Seite haben Parasiten eine große ökologische Bedeutung und sind integrale Bestandteile von marinen Ökosystemen, wo sie eine wichtige Rolle für ihr Funktionieren spielen. Beide Seiten werden durch globalen Wandel wie die zunehmende Einschleppung von Arten und die Erderwärmung beeinflusst, was in den kommenden Jahren ein Schwerpunkt der ökologischen Parasitenforschung sein wird.

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Prof. Dr. David Thieltges
Position: Senior Scientist - NIOZ Royal Netherlands Institute for Sea Research, Texel, Niederlande; Honorary Professor - RUG University of Groningen, Niederlande.

Forschungsinteresse:
Ökologie von Parasiten in marinen Ökosystemen